Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Dagmar Ullmann-Bautz · 01. Feb 2010 · Theater

Yo Mann, was geht? Shakespeare!

Derzeit fegt ein für ein junges Publikum arrangierter Shakespeare – „Romeo und Julia(n)“ – über die Bühne des Vorarlberger Landestheaters. Nichts, aber auch gar nichts klammerte Regisseurin Nina C. Gabriel aus, um das Stück mit jugendlichem Zeitgeist anzureichern.

Überdimensionale Schlagzeilen

Den Theaterabend eröffnen überdimensional projizierte Presseschlagzeilen, die in reißerischer Manier die Vorgeschichte zum Stück enthüllen. Es wird  von den Capulets und Montagues als Familien von öffentlichem Interesse berichtet, an deren Freuden und Leiden die Massen teilhaben wollen. Die Schlagzeilen beginnen mit dem Zusammenschluss der Familien - dem Ursprung eines Imperiums. Es folgt die Geburt der beiden Stammhalter Romeo und Julian. Das schicksalhafte Zerwürfnis, die unvermeidliche Trennung, ausgelöst durch Liebe und Tod, beendet die Berichterstattung. Im großen Finale am Ende des Abends schließt sich wiederum der Kreis, wenn in fetten Lettern der Tod der Liebenden verkündet wird.

Homosexuelle Beziehung statt klassischem Shakespeare-Paar

Die beiden Jungen Romeo und Julian, als Kinder Freunde, sind im Alter von drei Jahren grausamst getrennt worden. Fünfzehn Jahre später kommt es zur folgenschweren Begegnung zwischen Romeo und Julian. Regisseurin Nina C. Gabriel hat – gemeinsam mit den zwei Jungschauspielern Jan Nikolaus Cerha als Romeo und Matthias Britschgi als Julian – das Kunststück fertig gebracht, eine wunderbare, von zarter Erotik knisternde, zu Herzen gehende Liebe auf die Bühne zu zaubern. Zart, leise, unaufdringlich – nur sich selbst genügend. Eine wunderbare Liebe zwischen zwei jungen Männern, die sich in nichts von jener des klassischen Shakespeare-Paares unterscheidet.
Heute und hier finden sich kaum äußere Umstände, die einer Liebe zwischen einem jungen Mann und einer jungen Frau im Wege stehen, sie gar unmöglich machen. Genau das Gegenteil trifft auf homosexuelle Paare zu und das ist es auch, was uns Shakespeares Geschichte noch heute erzählen kann. Der Diskurs der letzten Monate zum Thema Homoehe hat dies deutlich gezeigt und rechtfertigt die Produktion des Landestheaters als höchst aktuell und wichtig.

Jugendliche Spaßgesellschaft

Um die grazil schöne Liebesgeschichte von Romeo und Julian baut Regisseurin Gabriel ein lautes, schrilles Getümmel – Jugendliche, die einfach nur Spaß haben wollen, sich gegen die Regeln der Erwachsenenwelt auflehnen und quer legen. Ob Techno-Dance zu Bach, Happy Slapping aus Lust und Vergnügen, ein Catwalk der Extravaganz oder grobe sexuelle Anspielungen -  Tybalt, Mercutio und Benvolio treiben es richtig bunt. Schnelle Schnitte, abrupte Wechsel präsentieren junge schroffe Videoästhetik. Shakespeares Text wurde stimmig und sehr aktuell ergänzt. Lückenlos fügen sich die alten und neuen Worte ineinander und bestätigen die Jahrhunderte überdauernde Genialität des alten Meisters.
Alexander Julian Meile als halbrussischer, latent aggressiver Tybalt zeigt ein weiteres Mal seine ungeheure Wandlungsfähigkeit und Spielkraft. Benvolio, die doch eher versöhnliche Figur, wurde von der Regie weiblich besetzt. Katrin Hauptmann präsentiert eine geradlinig adäquate Studie und hat es nicht immer leicht neben dem ausufernd rücksichtslosen, restlos überdrehten Mercutio (effektvoll Bernd Christian Althoff) zu bestehen.

"Durchgeknallte" Erwachsene

Nicht nur die Jugendlichen im Stück, auch die Erwachsenen präsentieren sich teilweise lärmend und völlig „durchgeknallt“. Das Familienoberhaupt der Montagues, Romeos Vater (Mario Plaz), bleibt dezent, beinahe nicht präsent im Hintergrund der Geschehnisse – ganz im Gegensatz zu Julians Mutter, der Patronin der Sippschaft der Capulets und der Amme des Hauses. Die beiden Ladies, Tamara Stern als Capulet und Stephanie Brenner als Amme lassen es krachen, in bestem zeitgenössischem Comedy-Stil – „genial daneben“. Die reizende Alexandra-Maria Nutz ist in ihrer Darstellung als heiratswütige „Pa(ä)ris“ reduziert auf naiv, dumm, Mendelssohn-Bartholdy und ein Feuerzeug. Sie kontrastiert das Spiel der beiden „Ladykracher“. Pater Lorenzo - der nette verständnisvolle Seelsorger, der dann und wann gemütlich einen Joint raucht und auf John Lennon steht, hilft wo er kann. Michael Schiemer haucht der Alt-68er-Persiflage sanftes Leben ein.

Auf ein jüngeres Zielpublikum ausgerichtet

Zweihundert Minuten Theater sind es, die das Publikum erlebt in einem beeindruckenden Bühnenbild von Andreas Lungenschmid, das mit dem Licht von Arndt Rössler sehr schön korrespondiert, zweihundert Minuten Theater für junge Menschen – Theater für weltoffene Geister – unterhaltsam, provokativ, innervierend, spannend und zum Schluss noch herrlich kitschig.
Es stellt sich die Frage, ob die Entscheidung eine glückliche war, diese doch eindeutig auf ein Zielpublikum ausgerichtete Produktion ins Abonnement zu nehmen, haben doch bei der Premiere einige Besucher schon in der Pause das Theater verlassen. Der zweite Aufführungsabend wurde vom durchwegs jüngeren Publikum atemlos verfolgt, beklatscht und bejubelt.