Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Dagmar Ullmann-Bautz · 14. Jän 2018 · Theater

Mitten ins Schwarze! Volltreffer! – „Der Volksfeind“ von Hendrik Ibsen am Vorarlberger Landestheater

Zum dritten Mal hat das Duo Rippert und Traun im Vorarlberger Landestheater überzeugt, ja begeistert. „Der Volksfeind“ von Henrik Ibsen 1882 geschrieben, erlebte gestern Abend in Bregenz eine packende und unterhaltsame, eine berührende, und ja, auch eine Diskussionen auslösende Premiere. Regisseur Matthias Rippert, der nach „Die kahle Sängerin“ und „Mein Kampf“ zum dritten Mal in Bregenz inszenierte, hat den Text präzise analysiert und daraus eine höchst zeitgemäße Geschichte geformt, die sehr differenziert und mit außergewöhnlichen Ideen ausgestaltet ist. Das Bühnenbild und die Kostüme von Selina Traun sind umwerfend, bestechen durch das außergewöhnlich Imposante und durch die Liebe zum Detail. Aber nicht nur das Auge genießt, auch akustisch ist der Abend ein Leckerbissen. Verantwortlich für Musik und Ton zeichnet Robert Pawliczek.

Das Spiel und die Ausstattung wie auch die Figuren sind überzeichnet, was der Geschichte gut tut, wird doch der Humor dadurch angekurbelt und die Details mit zeitgemäßen Bezügen verdeutlicht. Alle Bewohner der Stadt, außer dem Ältesten und der Jüngsten, haben körperliche Deformierungen - als Folge giftiger Substanzen – doch keiner der Protagonisten stört sich daran, es scheint zur Normalität geworden zu sein. Das Leben spielt sich in Containern ab, beengt und kühl, das Büro des Bürgermeisters, Zentrum der Macht, steht auf Stelzen, die Zeitungsredaktion ist mobil, jedoch auf arg quietschenden Rädern. Was in geschlossenen Räumen stattfindet, wird per Video nach außen transportiert - Videoüberwachung wohin man sieht. Alltägliche Nahrungsmittel wie Mandarinen und Erdnüsse geraten zu Symbolen und Metaphern eines unbekümmerten Umgangs mit Pestiziden oder den unfairen Arbeits- und Lebensbedingungen weitentfernter Erdenbewohner.

Großartiges Ensemble

Damit aber all diese großartigen Ideen auch beim Publikum ankommen, braucht es SchauspielerInnen und Schauspieler, die den Ton ganz genau treffen. Und dies gelingt aufs Trefflichste! ChrisTine Urspruch begeistert in der Figur der Badeärztin Dr. Katrine Stockmann mit gebündelter, sich entladender Energie, ihrer Ausdruckskraft und Präsenz. Großer Szenenapplaus (sonst eher selten am LT zu erleben) für ihren Monolog, ihren Aufschrei an die "vergiftete Gesellschaft"! Ihren Ehemann Tomas spielt Peter Pertusini mit höchst berührendem Feingefühl. Auch Alexandra Maria Nutz überzeugt in ihrer unaufgeregten Darstellung der älteren Tochter Petra und mit der jungen Lara Bereuter, als jüngere Tochter Liv, hat das Theater ein kleines großes Talent entdeckt, das schon souverän auf der Bühne agiert. Schwiegervater Morten Kiil wird ganz wunderbar von Gerhard Brössner sehr klar, unberührbar und autark dargestellt. Einfach phänomenal Lukas Spisser in der Rolle des Bürgermeisters Peter Stockmann, einer betont psychopathischen Persönlichkeit, wie sie laut Psychologenmeinung nicht selten in führenden Positionen unserer Gesellschaft anzutreffen sei. Thomas Schmidt ist herrlich witzig als unfreier, beflissener Zeitungsredakteur Hovstad, während David Kopp eindrücklich den kleinen, immer hinterherhechelnden Redaktionsmitarbeiter Billing mimt. Und da gibt es noch den Buchdrucker Aslaksen, egoistischer Verfechter einer direkten Demokratie, ganz köstlich dargestellt von Luzian Hirzel.

Angeregte Diskussionen

Dem aufgeschlossenen Publikum am Vorarlberger Landestheater bescherte „Der Volksfeind“ in einer anregend modernen, durchaus gewollt polarisierenden Fassung einen kurzweiligen, bereits in der Pause von angeregten Diskussionen begleiteten Theaterabend, für den dem Ensemble um Regisseur Rippert mit großem Applaus am Ende der Vorstellung gedankt wurde.