Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Mirjam Steinbock · 07. Mär 2017 · Theater

Über die Stärke sich selbst zu sein – Das Kinderstück „Dickhäuter“ erzeugt eine Vielfalt an Emotionen

Wie schwer es ist, neu in einer Schulklasse zu sein, sich anzupassen und doch der eigenen Individualität zu entsprechen, davon erzählt Brigitta Soraperras Inszenierung „Dickhäuter“. Das Kinderstück vom Theater Fallalpha Zürich handelt vom turbulenten Leben des Nashorns Lou und sorgte am vergangenen Sonntag im gut besuchten Fabriggli in Buchs für Erheiterung und Mitgefühl. Viel Applaus erntete das Schauspiel-Team mit Oriana Schrage, Romeo Meyer und Andi Peter für seine lebendige, unterhaltsame und nachdenklich stimmende Darstellung fantastischer Tier- und Menschenwelten.

Mit einer dicken Haut ausgestattet zu sein und nicht alles zu spüren, könnte das Leben etwas einfacher gestalten und so müsste es auch Lou gehen, denn das Nashorn ist damit ausgestattet. Außerdem erhält Lou, ganz neu in der Klasse 2B, von den MitschülerInnen die Info, was „normal“ ist und wie man sich in der Gemeinschaft zu verhalten hat. Gute Voraussetzungen also für den Neustart in der Schule und Lou macht auch motiviert mit, sich im Klassenverband einzufügen. Allerdings geht das ordentlich schief, denn Lou ist grau und schwerfällig, gefräßig, sieht nicht gut und hat manchmal unliebsame Ausdünstungen. So löst Lou unfreiwillig Lacher bei den anderen Kindern aus, weil das Nashorn zwar die größte Kaugummi-Blase machen kann, diese aber mit dem Horn zum Platzen bringt und die Masse den ganzen Kopf verklebt. Auch Gummitwisten stellt sich nicht als Stärke des Nashorns heraus.

Das Nashorn in uns


Die Andersartigkeit des Klassen-Neuzugangs wird zunehmend zum Problem - nicht nur für Lou. Auch für die MitschülerInnen gestaltet sich der Umgang mit dem Nashorn schwierig. Die Eltern von Lou bestärken ihr Kind in seiner Andersartigkeit, finden aber auch keinen Zugang. Das Drama der Geschichte gipfelt darin, dass Lou – erneut von den Kameraden verlacht – in rasender Wut über den Schulhof rennt und sich letztlich betäubt im Zoo wiederfindet. Dort erhält es unerwartet Unterstützung. Ein Wärter setzt sich für das gekränkte Tier ein und gibt ihm die notwendige Zeit für Ruhe und Entfaltung. Und letztlich erkennen die MitschülerInnen von Lou, dass auch sie anders und dickköpfig, stur und schwerfällig sein können und in jedem ein Nashorn schlummert.

Gekonntes Schauspiel, tolle Musik


Das Faszinierende an dem Theaterstück „Dickhäuter“ ist, dass das Nashorn selbst nie zu sehen ist, es aber durch die Beschreibungen der SchauspielerInnen in Verbindung mit dem Sound des Musikers lebendig und fassbar wird. Oriana Schrage und Romeo Meyer schlüpfen dabei gekonnt und sehr spielfreudig in verschiedenste Rollen. Mal wirken sie wie Betrachter von außen, dann verwandeln sie sich scheinbar mühelos in die unterschiedlichen Charaktere der MitschülerInnen Timna, Esmeralda, Nando oder Puschl.

Andi Peter, der die Musik für das Stück komponierte und live mit seiner Loop-Station eine ganze Band ersetzt, kommentiert das Geschehen mit verschiedenen Sounds und Tönen. Sehr berührend ist die Szene, in der er zum Nashorn Lou wird, sich mit einem Gummitwist im Baum verheddert und traurig zur Ukulele greift. Wunderschön und melancholisch zugleich wirkt dann das Lied „Wie könnte sich Lou loswerden?“, das von allen drei Spielenden mehrstimmig gesungen wird und für Rührung sorgt im Publikum, welches vorher über das Ungeschick des Dickhäuters kicherte.

Originelle Ausstattung


Die unterschiedlichen Orte, an denen das Stück spielt, wie Schulklasse, Schulhof, Zoo oder Talkshow entfalten sich dank des originellen Bühnenbildes von Peter Hauser und der bunten Kostüme von Corinne Jaeggi plausibel vor den Augen des Publikums. So verwandelt sich die Schulklasse mit unzähligen grauen Gummireifen plötzlich zu einem Labor, in dem die Sensibilität von Dickhäutern untersucht wird, um dann zu einem Talkshow-Podium zu werden, auf dem die Reifen als Sessel fungieren und die Gäste Krawatten aus Pfauenfedern tragen. Kleine Hinweise auf die Tierwelt legen die Ausstatter wie Köder aus, und wenn man auf den Zuschauerplätzen auch noch nicht sicher ist, welcher Fährte diese Details angehören, erschließt sich alles am Ende des Stücks.

Offen für Interpretation


Dass dieses niemals schulmeisterlich wirkt, ist der sensiblen Inszenierung Brigitta Soraperras und der Textvorlage Tina Müllers zuzuschreiben. Stets bleibt in dieser Geschichte, die keinem Handlungsstrang folgt, sondern eher fragmentartig erzählt wird, etwas offen für die individuelle Interpretation. Ob man nun Parallelen zur eigenen Schulzeit erkennt, Anregungen für den Umgang mit Andersartigkeit findet, sich des Unterstützungsbedarfs für die Identitätsfindung von Kindern bewusst wird oder sich schlicht von einem guten Theaterstück unterhalten lassen möchte - als kleine und große Zuschauende darf man in Resonanz zum Erzählten treten und sich die eigene Meinung bilden. Im Fabriggli gab es im Anschluss die Möglichkeit, dem Team Fragen zu stellen und man erfuhr unter anderem, dass das Stück in einem gemeinsamen Prozess mit Schauspielteam, Musiker, Regisseurin und Autorin entstand. Die Anregung zu diesem Austausch durch Fabriggli-Präsidentin Katharina Schertler-Secli stellte sich als sinnvolles Angebot dieses vielschichtigen Kinderstücks heraus, das unlängst für einen der wichtigsten deutschen Preise, den Mühlheimer Stückepreis 2017 nominiert wurde.

 

Infos zu weiteren Aufführungen von „Dickhäuter“ unter http://www.fallalpha.ch