Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Ingrid Bertel · 23. Sep 2018 · Theater

Selfmademan im Finanzcrash

Mit dem Roman „Der große Gatsby“ lieferte Francis Scott Fitzgerald 1925 eine brillante Gesellschaftsanalyse der „roaring twenties“. Zwischen Krieg und Börsencrash ließ er eine Gesellschaft im Charleston in den Untergang tanzen – eine Versammlung geldsüchtiger, zynischer und zutiefst einsamer Menschen. Jetzt zeigt das Vorarlberger Landestheater eine Bühnenfassung des Textes und eröffnet damit die erste Spielzeit der neuen Intendantin Stephanie Gräve.

Im schlecht sitzenden, grell magentafarbigen Anzug steht Jay Gatsby (Tobias Krüger) auf der Bühne – scheu, melancholisch, verrannt in eine Liebe, der er seit Jahren nachtrauert. Für sie, für Daisy, hat er ein Vermögen angehäuft, hat eine riesige Villa gekauft, in der er opulente Parties veranstaltet. Den Reichen und Berühmten, die dort einlangen, weicht er geflissentlich aus. Er beherrscht weder den leichten Smalltalk noch die eleganten Umgangsformen, ein Blender, der seinen Reichtum dubiosen Geschäften verdankt und seine akademische Biografie frei erfunden hat. Das spricht sich herum.
Nick Carraway beobachtet diesen Mann – einmal als der gleichaltrige David Kopp, ein zweites Mal als der um 40 Jahre ältere Rolf Mautz. Regisseur Ingo Berk erzählt die Geschichte in Rückblenden – und er verlegt sie ins Jahr 2007, zwischen „war on terror“ im Irak und Lehman-Pleite. Die Parallelen hätten sich aufgedrängt. Nun ja, das ist gut gemeint. Aber gut ist es nicht. Denn die Aktualisierung nimmt der Geschichte Fitzgeralds ihre analytische Schärfe. Besonders deutlich wird das an den weiblichen Figuren: Zwischen Fitzgeralds „southern belles“ und den Frauen des Jahres 2007 liegen eben mehrere Generationen und eine riesige Veränderung im Selbstverständnis der Frau.
So bleibt Nanette Waidmann, die Daisy Buchanan als hysterisches Flackerwesen anlegt, ziemlich allein mit ihrem Melodram. Johanna Köster als sportliche Jordan Baker hat nicht das Aufmüpfige, das ein „flapper“ um 1925 ausstrahlte, und Rahel Jankowski als leichtfertige Geliebte Tom Buchanans nicht die soziale Fallhöhe der Romanvorlage. Wenn Grégoire Gros als rassistischer Tom Buchanan vor der arabischen Gefahr warnt, ist das eben nicht viel mehr als eine banale Parallelaktion. 

Ein junges Ensemble

Sie sind wunderbar leidenschaftlich, engagiert, fein akzentuierend, die Mitglieder des jungen Ensembles. Man spürt ihr Wollen und bedauert die epische Breite, mit der die Regie Ingo Berks jeden dramaturgischen Bogen zerstört. Denn zur Distanz, die der Erzähler (Rolf Mautz) zum Geschehen schafft, kommt die „Zeitmaschine“, die das Bühnenbild von Damian Hitz etabliert: ein schwarzer Tunnel, durch den eine weiße Zelle immer wieder aus- und einfährt, jede Szene neu ansetzt – und da nützt das beste Licht (Arndt Rössler), die hörspielartig fein gesponnene Musik (Patrick Zeller) nichts: Was eben noch spannend schien, zerflattert in Reflexionen, Erklärungen, Deutungen.

Die Film-Gatsbys

Naturgemäß kann ein kleines Theater niemals die Ausstattungs-Opulenz dieses so häufig verfilmten Romans bieten – zuletzt etwa 2013 mit Leonardo DiCaprio in der Titelrolle. Warum also diesen Roman auf die Bühne stellen? Warum gegen die Bilder, die in unseren Köpfen sind, anspielen? Der Reiz des „großen Gatsby“ besteht eben in der Differenz zwischen dem zur Schau gestellten Reichtum und der dünnen Luft, die der Emporkömmling dabei atmet – und nicht in einer Zeitmaschine, die verwaschene Aktualisierungen breittritt.
Warum setzen die Theater immer noch auf die Dramatisierung von Romanen? Warum glauben sie den Autoren nicht, dass die ihre Form bewusst wählen? Wie wäre der Auftakt dieser neuen Intendanz gewesen, wenn ein richtiges Stück dem Ensemble die Möglichkeit geboten hätte zu zeigen, welche Energie in ihm steckt? Denn die reicht weiter als zu einem verhackstückten Roman, so viel war zu sehen!

Vorarlberger Landestheater: Der große Gatsby
weitere Vorstellungen: 25.9., 5./11./20./28./31.10.
jeweils 19.30 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz