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Dagmar Ullmann-Bautz · 28. Jän 2018 · Theater

Radikal und äußerst klug! – Theater Wagabunt spielt „Täter“ von Thomas Jonigk im TiK in Dornbirn

Studien machen glaubhaft, dass in Westeuropa jede dritte bis fünfte Frau und jeder sechste bis zehnte Mann sexuelle Übergriffe in der Kindheit erlebt hat. Dabei sind die Täter laut Statistik hauptsächlich Familienmitglieder und in allen gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen anzutreffen. Somit ist Sexueller Missbrauch kein Ausnahmephänomen, sondern durchzieht unsere gesamte Gesellschaft. Und dennoch ist das Thema tabu, sieht man von spektakulären, medienwirksamen Vorfällen ab, und ungern wird im privaten wie öffentlichen Umfeld darüber gesprochen und noch weniger gern ein Theaterstück zum Thema besucht. Dies hat auch das Theater Wagabunt leider bemerken müssen.

Das Theater um Leiter Robert Kahr hatte den mutigen Schritt gewagt und zeigt seit 18. Jänner und noch bis 10. Februar ein Stück, das Kindesmissbrauch ganz klar thematisiert, das den Finger direkt auf die Wunde legt. „Täter“ von Thomas Jonigk ist ein sehr radikales und klug konzipiertes Stück, der Text so ehrlich, so authentisch und pur, gespeist aus der Wut, der großen Leidenschaft für das Thema und der Empathie des Autors.

Liebe und Freiheit

Das Stück erzählt die Geschichte von Petra und Paul. Petra wird seit Jahren von ihrem Vater Erwin missbraucht, ihre Mutter Karin sieht weg. Magda vergewaltigt ihren Sohn Paul und niemand hört seine Hilfeschreie. Das Schicksal, das die beiden Kinder teilen, führt sie zusammen, und gemeinsam versuchen sie, wenig erfolgreich, den Missbrauch durch ihre Eltern zu stoppen. In Petra und Paul begegnen sich zwei wunde Menschen und stellen sich ihrer Wundheit. Sie sehen im Anderen die eigene Verletzung und betasten sie. Und die Geschichte von Petra und Paul ist auch eine Liebesgeschichte, in der es darum geht, den anderen so sein zu lassen, wie er ist. Der Begriff Freiheit wird zu einem zentralen, insbesondere dann, wenn es um Liebe geht, egal, ob in Beziehungen zwischen Erwachsenen oder zwischen Eltern und Kindern. Wie man am besten sich selbst treu sein kann, wieviel der andere dabei zulässt und nicht im Gegenteil versucht Ketten zu schmieden, ist die Frage.

Großartige Jungdarsteller

Regisseur Marius Schiener ist mit viel Leidenschaft und Einfühlung ans Werk gegangen, was die Geschichte und die Darstellung von Petra und Paul angeht. Die Szenen sind getragen von großer Sensibilität und Wertschätzung. Die jungen Protagonisten begeistern.

Petra wird ganz großartig gespielt von Lucia Zamora Campos, mit Verletzlichkeit, aber auch enormer Klarheit, mit großer Emotion, aber ohne Pathos. Bemerkenswert auch Daniel Hauser - seine Darstellung des jungen Paul beeindruckt durch Mühelosigkeit und Echtheit, mit einer durchscheinenden, sehr zarten Präsenz.

Doch wie der Titel des Stückes verrät, geht es auch um die Täter, die Väter und Mütter, die ihre Kinder, ihre Schutzbefohlenen unter dem Vorwand und Deckmantel der Liebe missbrauchen, quälen und zerstören. Und es geht auch um die, die wegschauen.

Einleuchtende, aber missglückte Regieidee

Und hier versagen die Ideen des Regisseurs, mildern das Grauen, den Zynismus, aber auch die Komik, die den Text so einmalig machen. Schiener versteckt die Gesichter der Täter hinter weißen Masken, die Idee dahinter ist klar, leuchtet ein. Die Täter sind anonym, sind Teil der Gesellschaft, es kann jede/r sein und jede/r kann in diesem weißen Gesicht ein anderes sehen. Aber theatral funktioniert dies nicht. Die Stimmen der Schauspielerinnen und Schauspieler klingen hinter den Masken fürchterlich gedämpft gleichförmig und auch so angestrengt. Und diese Anstrengung überträgt sich auch auf das Spiel. Das ist schade, denn Dorrit Aniuchi, Rita Dummer, Yasmin Ritter, Robert Kahr und Wolfgang Pevestorf hätten diesen Figuren ganz sicher die nötige Strahlkraft verliehen, die der Autor mit seinem Text ganz klar einfordert. Wären die Masken nur für die eine oder andere Szene eingesetzt worden, etwa wenn die „Täter“ ihre Dreistigkeit und Freizügigkeit feiern, wäre der Effekt ganz sicher bombig gewesen.

Absolut wichtiges Stück – unbedingt ansehen!

Bei aller Kritik bleibt es trotzdem ein spannender und beeindruckender Theaterabend, ist „Täter“ ein ganz wichtiges Stück über einen Defekt unserer Gesellschaft, der nicht repariert werden kann, solange niemand darüber redet und lieber weggeschaut wird.

Dem Theater Wagabunt, dem Team, und vor allem den vielen Kindern und Jugendlichen, die ein Schicksal wie Petra und Paul teilen, ist zu wünschen, dass noch viele Menschen kommen, um das Stück zu sehen, darüber nachzudenken und bereit sind ein Tabu zu brechen und dieses wichtige Thema in die Öffentlichkeit hinaustragen.

Weitere Aufführungen:
1. / 2. / 3. / 9. / 10. Februar
jeweils 20 Uhr im TiK in Dornbirn, Jahngasse 10

Kartenreservierung: www.theaterwagabunt.at oder 0664 5535779