"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Anita Grüneis · 23. Nov 2016 · Theater

Peter Handkes „Selbstbezichtigung“ im TAK Theater Liechtenstein: Die grosse Klage der Stefanie Reinsperger

Stefanie Reinsperger ist seit zwei Jahren der Wiener Publikumsliebling. Was die Wiener an ihr lieben, wurde beim Volkstheater-Gastspiel von Peter Handkes „Selbstbezichtigung“ im Schaaner TAK deutlich. Diese Schauspielerin kann einfach alles, ob Pathos oder Witz, Wienerisch oder Bühnendeutsch, Text oder Schweigen. Sie nimmt sich jeden Zentimeter der Bühne. Dazu passte Handkes 50 Jahre alter Text, den DIE Reinsperger mit eigenen Texten anreicherte und so zu einem aktuellen Bühnenereignis werden ließ.

Empfangen wurde das Publikum von einer Frau im Bademantel mit einem großen Dutt auf dem Kopf, die im Zuschauerraum auf einem Tablett Apfelschnitze anbot. Eine Eva, die mit Zerstückeltem verführt. Auf der Bühne zog sie den Bademantel aus und legte sich in der Unterhose mit nacktem Oberkörper vor eine Leinwand. Leise begann sie zu sprechen. „Ich wurde geboren. ... Ich bin auf die Welt gekommen, ich bin geworden ...“ Das Kind ist vieles geworden, hat wahrgenommen und gezeigte Gegenstände bezeichnet, wünschen gelernt, einen Wortschatz erlernt, der Schwerkraft getrotzt. Das Wort „Gegenstände“ wurde zu ihrem Wiegenlied.  

 Auf High Heels

Dann stand Stefanie Reinsperger auf, sah ihren Schatten wie einen Torso auf der Leinwand, war mündig geworden und vor allem wohnsitz-, erziehungs-, ausweis- und sonst wie -pflichtig. Sie zog ein Hemd über, schlüpfte in High Heels und raste durch ihre Rollen am Theater. Peter Handkes Text war auf einmal weit weg und doch so nah, denn die Schauspielerin bekannte sich schonungslos zu allem, was sie in ihrer Laufbahn (und in ihrem Leben?) gemacht hat. Eine Selbstbezichtigung eben. Eine echte.

Im Anzug mit Weste

Später mampfte sie einen Apfel und meinte: „Das hier hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun.“ Sie wiederholte einen Text, verkürzte ihn dabei auf das Wesentliche, war wieder bei Handke, bezichtigte sich, die „Moral verlogen genannt zu haben und das Kapital korrupt“. Sie zog einen Anzug mit Weste an, setzte sich im Lotussitz an die Rampe und leuchtete mit einer Taschenlampe die Zuschauerreihen ab. Die Selbstbezichtigung ging weiter, wurde zur Seelenbeichte.

Der Mensch wird nie ein Meisterstück

„Ich habe Verzweiflung gespielt“, sagte Stefanie Reinsperger und die Tränen rannen ihr über die Wangen. Schluchzend gestand sie, dass sie verkannt hatte, dass das Böse die Abwesenheit des Guten ist und dass sie aus der Vergangenheit nicht lernte. Dass sie die Zeit vorantreiben und nicht sterben wollte. Und dass sie dieses Stück gesprochen hat. Und dann ging sie ab, sang im Zuschauerraum das Lied „I'm perfectly incomplete, I'm still working on my masterpiece“ von Jesse J.

Die große Klage

Peter Handke hat mit diesem Stück vor 50 Jahren ein Meisterstück abgeliefert, Stefanie Reinsperger setzte es unter der Regie von Dušan David Parízek umwerfend in Szene. Kein Wunder gab es standing ovations. Mit ihrer Darstellung zeigte sie so ganz nebenbei auch, dass Handkes „Selbstbezichtigung“ nicht nur eine Litanei der menschlichen Existenz ist, sondern eine große Klage.   

Schon bald in Berlin?

Geplant gewesen war das Burgtheater-Gastspiel „Nora3“ von Elfriede Jelinek mit Stefanie Reinsperger in der Titelrolle. Wegen einer Erkrankung des zweiten Hauptdarstellers musste sehr kurzfristig umgestellt werden. So kam es zum Monolog „Selbstbezichtigung“ von Peter Handke, mit dem die Schauspielerin im Herbst letzten Jahres im Volkstheater Premiere feierte. Reinsperger war übrigens vor ein paar Tagen, ebenfalls im Volkstheater, als „Medea“ zu sehen und ab nächstem Jahr ist sie in Salzburgs „Jedermann“ die neue Buhlschaft an der Seite von Tobias Moretti. Gemunkelt wird zudem, dass der Wiener Star schon bald nach Berlin wechselt.