Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Walter Gasperi · 12. Nov 2010 · Theater

Nur nichts von sich preisgeben - Theodor Holmans und Theo van Goghs „Das Interview“ im Lochauer Badehaus

Mit dem Lochauer Badehaus hat das Vorarlberger Landestheater einen neuen Spielplatz entdeckt. Dort liefern sich in Gerhard Fresachers Inszenierung von Theodor Holmans und Theo van Goghs „Das Interview“ Katrin Hauptmann als Filmsternchen und Markus Menzel als politischer Reporter ein beinhartes Psychoduell.

Es beginnt in der Lobby des Seehotels Am Kaiserstrand: Getrennt treten der politische Redakteur Pierre (Markus Menzel) und die Schauspielerin Katja (Katrin Hauptmann) auf. Beide stehen in einem Lift, wenn sie von ihren Traumata, ihren innersten Geheimnissen erzählen. Schonungslos offen zeigen sie sich hier, doch wenn sie aus diesen Kabinen, in denen man ebenso schützende Kokons des privaten Raums wie ein Beichtstühle sehen kann, heraustreten, wird sogleich alles Persönliche hinter der Fassade verborgen. Unweigerlich krachen muss es, wenn die gegensätzlichen Figuren aufeinander treffen: Aggressiv stellt der Filmstar die Arroganz des Reporters bloß, der es nicht für nötig hielt sich auf dieses Interview vorzubereiten, da er in Katjasowieso nur eine leere Hülle aus Silikontitten und Arsch sieht. Kein Blatt nimmt man sich vor den Mund, die Sprache ist hart und direkt. - Gestört wird die Konzentration bei diesem Auftakt allerdings durch Hotelgäste, die sich im Hintergrund an der Bar unterhalten.

Schein und Sein

Nach einem Umzug geht es im Badehaus weiter. Scheinwerfer und vier Fernseher, auf mediale Inszenierung und mediale Präsenz verweisend, grenzen die Bühne ab, um die das Publikum sitzt. Im Idealfall führen die Videoeinspielungen auf den Bildschirmen zu Doppelungen, die zur Reflexion über Inszenierung und Realität anregen, gleichzeitig freilich auch auf einer dritten Ebene das Publikum, das ja einer Inszenierung beiwohnt, in das Spiel involvieren. Teilweise brechen die Einspielungen aber auch nur den Erzählfluss und zerstören den Spannungsbogen.
Wie jeder Star der Öffentlichkeit, so sind die beiden Schauspieler auf dieser Bühne dem Publikum ausgeliefert. Rückzugsort gibt es hier keinen. Rund 80 Minuten müssen sie permanent präsent sein und sich praktisch in Echtzeit einen verbalen Schlagabtausch liefern. Da fliegen die Fetzen, dann kommt man sich näher, man umkreist sich in einer eindrücklichen wortlosen Szene wie Raubtiere, belauert sich – und achtet doch immer darauf, dass man nichts von sich preisgibt.

Famoses Schauspielerduo

Permanent prallen so Gegensätze aufeinander vom Journalisten und dem Sternchen bis zum Mann mittleren Alters und der jungen Frau, die reale Welt der Kriegsgräuel – speziell im Bosnien-Krieg – auf der einen Seite und die Schein-Welt der TV-Soaps auf der anderen, der Nähe steht die Distanz gegenüber, dem sich Niedermachen das gegenseitige Aufmuntern und immer geht es um Wahrheit und Schein, um die Sensationsgier der Medien und das gnadenlose Ausschlachten persönlicher Schicksale.
Großartiges leisten hier Markus Menzel und mehr noch Katrin Hauptmann, in denen Gerhard Fresacher schon vom Typ, der Statur und dem Alter her Idealbesetzungen gefunden hat – man kann freilich auch sagen Klischeevorstellungen bedient. Eindringlich vermitteln sie die verschiedenen Facetten ihrer Figuren, wechseln souverän zwischen den unterschiedlichsten Gefühlen. So sehr man aber ihr Spiel auch bewundern muss, so sehr raubt der sprunghafte Wechsel der Gefühle dem Theaterabend auch seine Dichte. Im modellhaften Charakter der Szenen, im abrupten Hin und Her bleibt vieles Behauptung, entwickelt aber kaum Leben, berührt trotz schwergewichtiger Themen kaum.

Überladenes Stück

Verlieh dem 2003 gedrehten Film, der dem Stück zugrunde liegt – ein Remake drehte Steve Buscemi mit sich selbst und Sienna Miller in den Hauptrollen 2007 –, die Besetzung der weiblichen Hauptrolle mit einem echten TV-Serien-Star sowie die Bezugnahme auf konkrete politische Ereignisse wie den niederländischen Kabinettsrücktritt oder die Traumatisierung der Niederlande aufgrund der Untätigkeit niederländischer UN-Soldaten während des Massakers von Srbrenica packende Aktualität, so wirken diese Momente heute ohne diesen konkreten Hintergrund prätentiös.
Wenn dann auch noch Krebskrankheit und traumatische Familiengeschichte dazukommen, ist das einfach zu viel des Guten. Dass Fresacher seinen famosen Schauspielern die Bühne praktisch überlässt und ganz auf ihr Spiel vertraut, ist zweifellos ein kluger Schachzug, die Vorlage allerdings hätte er wohl zurückstutzen und auf zentrale Themen fokussieren müssen. So wird das im Grunde starke Katz- und Maus-Spiel von Reporter und Star von allzu vielen Themen, die nicht nur schwergewichtig sind, sondern deren Schwere noch herausgestrichen wird, überlagert. Zu viel wird diesem „Interview“ damit aufgebürdet und auf der Strecke bleiben Kompaktheit und Intensität.