Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Anita Grüneis · 21. Apr 2015 · Theater

Liechtenstein, dein Sprenger - „Rubel, Riet und Rock’n’Roll“ im TAK in Schaan

Was den Deutschen ihr Reitz, das ist den Liechtensteinern ihr Sprenger. Edgar Reitz schuf mit seiner Filmtrilogie „Heimat“ ein Stück deutsche Zeitgeschichte, wie sie sich in der Provinz abgespielt haben mag. Stefan Sprenger schrieb mit seinem Werk „Rubel, Riet und Rock’n’Roll“ ein Stück Liechtensteiner Heimatgeschichte. Im Schaaner TAK erlebte das Werk in einer Theaterfassung seine Uraufführung. Das Publikum war überrascht, erstaunt und ergriffen.

Der Untertitel des Stückes erzählt viel vom Inhalt: Als Liechtenstein reich wurde. 1950 – 1975. Ein Viertel des letzten Jahrhunderts wird darin abgehandelt, jene Zeit, als sich Liechtenstein vom Bauernstaat zur Finanzmetropole entwickelte. Stefan Sprenger holte sich aus Interviews, Archiven, Zeitungsmeldungen und Landtagsprotokollen Schicksale von Liechtensteinern und Liechtensteinerinnen, anhand derer er seine Geschichte skizzierte. Dass daraus ein Sittengemälde wurde, ist Dramaturgin Barbara Ellenberger, Regisseurin Brigitta Soraperra und Bühnenbildner Werner Marxer zu verdanken. Marxers Bühne besteht aus Lagerregalen, in denen die Requisiten wie in einem Archiv fein säuberlich geordnet stehen. Das schafft schnellen Zugriff und gibt dem Publikum einen Wink auf die jeweilige Zeit. Soraperras Regie zeichnet die Personen mit einer Sorgfalt und Feinfühligkeit, dass man sich sofort bei ihnen zuhause fühlt, egal was sie tun.

Afrika und die Negerlein


Das Stück beginnt mit dem Epilog. Dabei wird der Text eines Fernsehinterviews aus den 70er-Jahren projiziert, in dem ein bekannter Liechtensteiner Treuhänder völlig ungeniert (oder naiv) von seiner Vorliebe für Afrika erzählt („die ja unsere Hilfe aus Europa dringend benötigen und notwendig haben“) und speziell seine Hilfe für den damaligen Diktator und selbst ernannten Kaiser Bokassa ausführlich und selbst-löblich erwähnt. Später am Abend werden die Spenden sammelnden „Negerlein“ mit den Baströckchen auftauchen, die heute noch in Liechtenstein mit ihren Spendenbüchsen von Haus zu Haus ziehen.

Walsers und Büchels


Danach sind wir zurück im Jahr 1950 und sehen das Geschwisterpaar Paul (Andy Konrad) und Paula (Christiani Wetter) in ihrer Kolonialwarenhandlung, das sich ärgert, dass die Vaduzer bis zum Rhein laufen, um vom Migroswagen zu kaufen, weil dort die Waren ein paar Rappen billiger sind. Wie sehen den Treuhänder Merkur (Ingo Ospelt) in seiner eigenen Kanzlei mit seiner Liechtensteiner Frau Gertrud (Ursula Reiter), wir erleben die fromme Theres Büchel (Irene Eichenberger), die so gerne zur Madonna betet und dabei auch gegen den Kommunismus wettert und außerdem ihrem Sohn Ossi (Samuel Streiff) vorschreibt, dass er Jus studieren muss, um so ein feiner Herr zu werden, wie die Herr Merkur ist. Ossis giftiger Kommentar: „Bei uns gibt es keine Herren!“

Raus aus dem Mief?


Damit sind die ersten Handlungsstränge gelegt. Das Publikum lebt von nun an mit diesen Personen wie in einer daily soap, beobachtet ihre Veränderung von den 50er, den 60er bis hin zu den 70er-Jahren, dazwischen schlüpfen die Figuren als Landtagsabgeordnete in Anzüge, sind Parteisekretäre, Unternehmer, Hausfrauen oder Polizisten. Die fünfundzwanzig Jahre vergehen wie im Flug, man vergisst Zeit und Raum, staunt über die Liechtensteiner Sturheit, die Geschwätzigkeit und den Geschäftssinn, die Unerbittlichkeit und die hermetische Geschlossenheit dieser Gesellschaft. Stemmte man sich in den 50er-Jahren noch gegen alles Neue, so dominiert in den 60er-Jahren die Sehnsucht nach dem Aufbruch. Paula reist in die USA, Paul verkauft das Geschäft und Ossi scheffelt so viel Geld als möglich, egal woher es kommt. Es ist eine kleine Welt, die plötzlich durch das Finanzgebaren auf das Weltgeschehen reagiert, reagieren muss. Ölkrise? Schlecht für das Geschäft!

Alles ist anders, alles ist gleich


Sie sind nun reich geworden und im Herzen doch die Alten geblieben. Über das Land hat sich in den 70er-Jahren ein goldener Käfig gestülpt, dort wird die Unversöhnlichkeit über Generationen hinweg weiter gebunkert. Doch man spricht nicht mehr miteinander, lebt in den Etagen, in denen einst die Vergangenheit gehortet wurde. Nun sind sie leer, die Regale und die Menschen. Das Volksstück ist vorbei, die Tragödie beginnt.

Ein hinreißendes Schauspielerensemble hat die 25 Jahre Liechtenstein zum Leben erweckt, den Menschen einen Spiegel vorgehalten, erschreckt, verunsichert, erfreut und amüsiert. Und schon in der Pause begann das große Rätselraten der Liechtensteiner Zuschauer: Wer ist wer, zu wem gehört welche Geschichte? Und so mancher traf auch die Feststellung: „Es hat sich nichts verändert. Alle diese Sprüche höre ich heute noch auf der Straße.“ Aktueller kann ein Stück Zeitgeschichte gar nicht sein.


Nächste Vorstellungen im TAK:
Mittwoch, 23. April
Donnerstag, 7. und Freitag, 8. Mai 2015
jeweils 19.30 Uhr
www.tak.li