Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Dagmar Ullmann-Bautz · 13. Mär 2016 · Theater

Feinste Performancekunst – „Dekalog – Die zehn Gebote“ am Vorarlberger Landestheater

Keine Frage, Bernd Liepold-Mosser polarisiert. Da gibt es die einen, die seine Arbeit großartig finden, andere, die keinen Zugang zu seinen Inszenierungen finden, nichts mit ihnen anfangen können. „Dekalog – Die zehn Gebote“ feierte letzten Freitag im Vorarlberger Landestheater Premiere – eine performative wie auch performante Aufarbeitung des zehnteiligen Filmzyklus der Polen Krzysztof Kieślowskis und Krzysztof Piesiewicz.

Herausfordernd und kurzweilig


Der Filmzyklus wurde zwischen 1988 und 1989 für das polnische Fernsehen produziert. Das international anerkannte Meisterwerk über die zehn Gebote ist eine Versuchsanordnung zu den Themen Liebe und Tod und genau das ist nun auf der Bühne des Landestheaters zu sehen, in höchst komprimierter Form. Regisseur Liepold-Mosser hat das zehnstündige Werk auf zweieinhalb Stunden gekürzt, zweieinhalb Stunden, die für das Publikum wirklich herausfordernd sind, aber auch äußerst kurzweilig.

Geschichten zum Lachen und Weinen


Die Interpretation bzw. die künstlerische Umsetzung der zehn Gebote ist meist sehr punktgenau in unsere Zeit geholt, teils recht kryptisch, was das Projekt enorm spannend und interessant macht. Jede der zehn Geschichten erzählt von Menschen, die in einer Zwangslage stecken, einem Dilemma, in das sie sich doch meist selbst manövriert haben. Manche Situationen sind zum Lachen, viele zum Weinen.

Beeindruckendes Bühnenbild


Die fließenden Übergänge von einer Geschichte zur nächsten sind mit Musik, die aufrüttelt und bewegt, unterlegt, zusammengestellt und komponiert vom Musiker Herwig Zamernik, auch bekannt als Fuzzmann und Mitglied der Band Naked Lunch. Die Ausstattung von Karla Fehlenberg beeindruckt, ihr Bühnenbild wirkt nicht nur durch seine Einfachheit, sondern auch in seiner Funktion. Ein Viertel einer Halfpipe wird für manche Protagonisten zur nicht erklimmbaren Hürde, während andere ihr Ziel easy erreichen und sie zum Gaudium mit reichlich Wasser zur herrlich schlüpfrigen Rutschbahn machen. Auch dient sie als Projektionsfläche für die toll gemachten Videos von Philip Kandler. Das Licht von Arndt Rössler begleitet völlig unaufdringlich, bescheiden einfach die Szenen.

Großartige SchauspielerInnen


Doch was wären die Geschichten ohne die Schauspielerinnen und Schauspieler, die von einer Rolle in die nächste schlüpfen, die jeder Figur Leben einhauchen und es in nur wenigen Minuten schaffen, ganze Lebensentwürfe und Biographien vor dem aufmerksamen Publikum zu enthüllen. Jele Brückner beeindruckt besonders in der Szene des 3. Gebots und noch mehr im 7., in der Figur der Mutter, die im Wunsch nach eigener Mutterschaft ihrer Tochter das Kind stiehlt. In der Rolle der Bestohlenen, die sich ihr Kind wieder zurückholt, was zur Trennung und finalen Auslöschung der familiären Struktur führt, glänzt unaufgeregt Alexandra Riemann, die auch in der 4. Geschichte eine punktgenaue Darstellung einer mutterlos aufgewachsenen Frau in einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung abliefert. Einfach umwerfend das spielerische Spektrum von Katja Uffelmann, die in jeder Figur - Tante, betrogene Ehefrau, Stalkeropfer u.a. - eine unglaublich mitreißende und  bewegende Bühnenpräsenz bietet. In der männlichen Besetzung gewinnt Sébastien Jacobi das Publikum gleich im 1. Gebot als zahlengläubiger Atheist, wie danach auch als aus der Bahn geschlitterter Vater mit großer Gestik. Auch Thomas Schmidt weiß als energiegeladener, ausdrucksstarker Typ in ganz verschiedenen Figuren, so als Ehebrecher und Lügner, als Anwalt oder bemitleidenswerter, impotenter Mann zu begeistern. Äußerst gegensätzlich dazu Felix Steinhardt, der mit seiner unaufgeregt zurückhaltenden und bescheidenen Spielweise fesselt, sobald er die Bühne betritt.

Lohnenswerter Theaterabend


„Dekalog – die zehn Gebote“ ist eine Performance, die, wenn man es zulässt, noch lange nachwirkt und so man die zehn Gebote nochmals nachliest und in den Kontext setzt, für einige Aha-Erlebnisse sorgt. Am Ende präsentiert sich „Dekalog – die zehn Gebote“ als ein zwar nicht unanstrengender, jedoch überaus lohnender Theaterabend. Das Publikum kommentierte dies teils mit zurückhaltendem, teils mit begeistertem Applaus.