Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Dagmar Ullmann-Bautz · 06. Mai 2011 · Theater

Ein Stück Leben! - Die österreichische Erstaufführung von Eva Rottmanns Stück „Unter jedem Dach“ im Bregenzer Theater Kosmos

Jeder wünscht sich doch das Sahnestückchen vom Leben, träumt vom großen Glück, beruflich, privat in der Liebe. Doch so funktioniert das nicht, zumindest nicht immer – dann müssen die Umstände herhalten, doch ganz oft steht der Mensch sich auch selbst im Weg.

Eva Rottmann führt eine ganze Familie und ihre mehr oder minder gescheiterten Lebenspläne vor. Augustin Jagg inszenierte dieses Stück packender Lebenswirklichkeit. Christine pflegt ihre kranke Mutter und versorgt den alten Vater, aufopferungsvoll und oft am Rande ihrer Kräfte. Während ihr Bruder Max, ein Musiker, in New York lebt und ihre Schwester Franziska, eineinhalb Stunden Fahrzeit entfernt, ihrem Beruf als Lehrerin nachgeht und ihr Leben mit Robert teilt. Christine sehnt sich nach Liebe und Glück. Und sie weiß, dass es höchste Zeit ist, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie plant die Flucht, gemeinsam mit ihrer Jugendliebe. Am Tag der Beerdigung der Mutter reisen Max und Franziska an, doch Christine ist längst schon über alle Berge. Den beiden völlig ratlosen Geschwistern hinterlässt sie den akribisch genauen Versorgungsplan für den Vater.

Poetischer Text perfekt interpretiert

In die Rahmenhandlung  eingebettet, öffnet sich dem Publikum ein prall gepackter Koffer voller Sehnsüchte, voller Träume und die damit verbundenen und zumeist gehörig gescheiterten Lebensgeschichten aller Familienmitglieder. Regisseur Jagg hat den poetischen Text perfekt interpretiert und auf die Bühne gestellt. In unterschiedlichen Räumen, auf verschiedenen Ebenen, erlebt das Publikum Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Traum. Bühne und Licht, gestaltet von Stefan Pfeistlinger, unterstützen die Konzeption, arbeiten ihr zu und bereichern sie. Holzbänke, harte Realität, erdig gestellt auf der untersten Ebene, bilden den Raum in dem Max und Franziska sich begegnen und - völlig überrumpelt von den Tatsachen – sich ganz und gar unfähig zeigen, mit der Situation umzugehen. Die mittlere Ebene, das Schlafzimmer der kranken Mutter, umgeben von zartem Store, ist ein Raum in dem Realität und Traum ineinander fließen. Am Bett der meist schlafenden, manchmal zaghaft reagierenden Mutter träumt der Vater von alten Zeiten, während sich Christine in eine ungewisse Zukunft träumt.  Der fast unwirkliche Raum der Sehnsucht, weit hinten, in diffusem Licht, auf der dritten Ebene gewährt den sehr lyrischen Passagen den rechten Rahmen.

Grandioses Comeback in Bregenz

Herwig Hammerl hat die das Stück begleitende, wunderbar stimmige Musik komponiert und eingespielt, eine Klangschöpfung, die Sehnsucht pur ist, die Stimmungen auf- und den Zuhörer gefangen nimmt. Augustin Jagg hat ein weiteres Mal bewiesen, wie genau, wie fein er seine SchauspielerInnen zu führen weiß. Trotz der Allgegenwärtigkeit von Tod, Leid und Versagen gelingt es ihm und seinen Protagonisten die Szenerie stets luftig leicht zu halten. Helmut Kasimir, über Jahre als Spieler am Vorarlberger Landestheater beheimatet, begeistert in einem grandiosen Comeback in der Rolle des Vaters, in sich ruhend und gleichzeitig derart präsent, dass es eine unheimliche Freude ist, ihm zuzusehen. Auch in der Rolle der pflegenden Tochter Christine ist es ein Vergnügen eine alte Bekannte wieder zu erleben – Christine Stallbaumer überzeugt mit anhaltend großer Emotionalität. Franziska, die lieber auf ihren Kurznamen „Franz“ hört, wird von Anja Pölzl mit eindrucksvoller Energie gespielt. Dem steht Anwar Kashlan als völlig orientierungsloser und im Schnaps Klarheit suchender Max in nichts nach. Beide balancieren gekonnt zwischen Dramatik und einer kleinen, doch gut tuenden Portion Komik. Gefesselt ans Bett, geknebelt durch die Krankheit, ist die Figur der Mutter ein höchst sensibler Part in diesem Stück, den Heide Capovilla bravourös meistert.
Alles in allem ein sehr erfreulicher und dabei zum Nachdenken Anstoß gebender Premierenabend, der sich in 90 Minuten ausgesprochen schön entwickelte und vom Publikum mit großem Applaus goutiert wurde.