Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Dagmar Ullmann-Bautz · 22. Aug 2009 · Theater

Drehen erzeugt Sog - „Lola – Der blaue Engel“ feierte am 19. August seine Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen in einer Koproduktion mit dem Theater in der Josefstadt, Wien.

Heinrich Mann, der Bruder des wesentlich berühmteren Thomas Mann schrieb 1904 seinen Roman „Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen“, der 25 Jahre später von Josef von Sternberg mit der damals noch unbekannten Marlene Dietrich unter dem Titel „Der blaue Engel“ verfilmt wurde und sowohl Mann als auch die Dietrich zu Weltruhm verhalf. Die Geschichte eines verkrusteten Professors, der über Jahrzehnte seine Schüler tyrannisiert, von Lola verführt und von der Gesellschaft ausgeschlossen und zum lächerlichen Clown degradiert wird, ist auch ein bisschen die eigene Geschichte von Heinrich Mann. Sein Leben lang hat er sich zu „moralisch zwielichtigen“ Schauspielerinnen hingezogen gefühlt und mit Nelly Kröger auch eine dieser Frauen gegen den Willen seiner Familie geheiratet.

Steinhauer als Professor Rath - ausdrucksstark und einfühlsam

Doch was kann uns Heinrich Manns Geschichte vom Professor Unrat und der wunderschönen Lola heute noch erzählen? Heute, da wir, Gott sei Dank, dieses moralinsaure Getue überwunden haben und auch unstandesgemäße Partnerschaften manchmal nicht gern, aber doch akzeptiert werden. Heute, da nur getuschelt wird, wenn ein älterer Mann eine junge Frau erobert und er beneidet und nicht geächtet wird. In einer Zeit, in der sich die Ausübung der Tyrannei oftmals vom Lehrer weg und eher hin zu den Schülern verschoben hat, zeigt uns Erwin Steinhauer als Professor Rath, genannt Unrat, ausdrucksstark und einfühlsam eine Figur, die zwar strenge moralische und pädagogische Ansichten hat, aber den Peinigungen der Schüler nicht Stand hält, genauso wenig wie er Lola widersteht.

Lola als braves Mädchen

Das Gefangensein in den eigenen Sehnsüchten, diese seelische Not jeder einzelnen Figur, wird von Regisseur Herbert Föttinger vorgeführt, was sich bis zur Pause hin leider schleppt und erst nach der Pause beeindruckt. Es ist auch die Lola von Katharina Straßer, einer jungen, hochtalentierten Schauspielerin und Sängerin, die irritiert. Warum wird Lola, über Generationen hinaus der Inbegriff von verruchter Erotik, der die Männer jeden Alters zu Füßen liegen, mit einem so braven Mädchen besetzt? Dass der alte Professor auf das süße Mädchen hereinfällt ist klar, aber doch nicht die coolen Jungs.

Jeder ist in sein Schicksal verstrickt

Der Regisseur und sein Ausstatter Rolf Langenfass platzieren das Stück auf einer sehr flexiblen Drehbühne, die alle Schauplätze beherbergt - die verschiedensten Räume des Gymnasiums, das Varieté mit Bühne und Garderobe. Etwas beengt steht und dreht sich dieses Karussell auf der kleinen Bühne des Kornmarkttheaters, und illustriert umso mehr den hier dargestellten Mikrokosmos. Die Enge verdeutlicht auch das Gefangensein der einzelnen Protagonisten. Jeder, ohne Ausnahme, ist in sich selbst und sein Schicksal verstrickt. Der kleine, traurige Clown (Rafael Schuchter genauso in der Rolle des Schülers Angst), der sich wortlos demütigen lässt und dessen leises Zittern der Lippen und kleinste Bewegungen der Finger berühren. Die Schüler Lohmann (Rasmus Borkowski gefällt mit schleimiger Coolness) und Von Ertzum (Ferdinand Stahl glänzt mit jugendlicher Verwirrtheit) quälen zuerst sich selbst und dann die anderen. Herr Kiepert, Zauberkünstler und Leiter der Kompanie (überzeugend Peter Scholz), wandelt seinen Schmerz in aufwühlende Aggression. Schauspielerin Sona MacDonald fasziniert in der Rolle der Guste Kiepert – in ihrem Gesicht, in ihren Augen spiegelt sich ein ganzes verpasstes Leben. Und auch alle anderen, Bela Koreny als Pianist, Alexander Strobele (Wirt), Alexander Waechter, ein Varieté-Besucher, Christian Futterknecht als Direktor des Gymnasiums und die Tänzerin Beata Vavken reflektieren ungelebte menschliche Sehnsüchte.

 

 

alle Fotos: © Bregenzer Festspiele/Karl Forster