Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Anita Grüneis · 25. Feb 2015 · Theater

Die mit dem Altsein flirten - „Long Life“ im Schaaner SAL

Alten Menschen 100 Minuten lang bei ihrem Alltag zuzuschauen, kann unheimlich wohltuend sein. Warum? Das wissen all jene, die in Schaan das Stück „Long Life“ von Alvis Hermanis gesehen haben.

Kultregisseur Hermanis zeigte diese Inszenierung seiner eigenen Theatertruppe des Neuen Theaters Riga im Schaaner SAL. Entstanden ist das Stück bereits vor zehn Jahren, die Schauspieler waren damals erst 30 Jahre alt, als sie die fünf alten Menschen am Ende ihres langen Lebens darstellten. Guna Zariņa, Baiba Broka, Kaspars Znotiņš, Ģirts Krūmiņš, Vilis Daudziņš müssen eine Sensation gewesen sein – denn auch heute noch, inzwischen selbst zehn Jahre älter geworden, sind sie diese zahnlosen Alten, die das Rheuma in den Knochen spüren, die Gicht in den Fingern, den Schmerz im Rücken.

Die Bühne ein Trödelmarkt


Sie hausen in kleinen, engen Zimmern, die völlig überfüllt sind mit alten Sachen. Man glaubt den Muff aus den ungewaschenen Kleidern zu riechen, den Schimmel in den Pfannen zu sehen, den Staub in den krachenden Betten einzuatmen. Die Lampen flackern, die Arzneimittel häufen sich zu kleinen Türmen, die zerschlissenen Bettdecken sind zerwühlt, die Tische mit Geschirr überfüllt und von den Wänden blättern Putz und Tapeten. Ein Bühnenbild (Ausstattung: Monika Pormale) wie ein Trödelmarkt.

Ein ganz normaler Tag


Wir schauen zu, wie diese Zimmer zum Leben erwachen. Noch liegen sie im Dunkeln, doch dort schnarcht jemand laut, ein anderer hustet, lange und schwer, ein dritter tappt nach seiner Brille auf dem Nacht-Tisch, einer furzt, eine Frau knipst das Licht an, durchsucht ihre Medikamente und schluckt ein paar Pillen. Dann steht sie auf, schlurft zur Türe, geht ins Badezimmer, setzt sich dort aufs Klo, pinkelt in ein Glas und untersucht ihren Urin. In der Zwischenzeit hat ein Mann an seiner Türe eine Art Flaschenzug mit gefüllten PET-Flaschen gespannt und macht mit diesem Expander seine Turnübungen. Ein Ehepaar auf sehr wackligen Beinen hilft sich gegenseitig beim Aufstehen. Ein alternder Beau kämmt sein Haar mit Bedacht und viel Wasser und gießt das Wasser dann sorgfältig über seine Blumenzucht in den leeren Milchflaschen.

Rettet die Zärtlichkeit


Das tönt alles furchtbar banal und ist es auch. Dass es trotzdem ungemein unterhaltsam ist, liegt an der Art, wie die Schauspieler dieses „long Life“ zeigen. Sie tun dies mit Ernsthaftigkeit und Akribie, ohne ihre Figuren je der Lächerlichkeit preiszugeben. Sie zeigen sie in ihrer Hinfälligkeit, ihrer Langsamkeit, ihrem Bedächtigsein und ihrer Fürsorge für den anderen. Nichts ist hektisch, nichts laut, nichts schnell. Man ist im Tempo der Gemächlichkeit angekommen. Dort, wo der Alltag langsam fließt, wo die Zeit ein anderes Tempo angenommen hat.
Nur manchmal schimmert noch die bröckelnde Schönheit des Jungseins: Wenn beispielsweise der Beau sein E-Piano zum Schwingen bringt und mit der blonden zittrigen Lady ein Duett mit brüchiger Stimme hinhaucht, dann erlebt die Zärtlichkeit ein ungemein kraftvolles Revival. Das Mikrofon scheint überhaupt der Draht zum Leben zu sein. Denn alles hat einen Ton, ob Vase oder Blume, ob Bluse oder ein offener Mund.

Nicht mehr atemlos


Abenteuerlustig sind sie alle noch, die lange Lebenden. Sie feiern Geburtstag und genießen den gepanschten Schnaps, sie tanzen und kuscheln, sie basteln mit Kondomen Kerzenständer, sie schauen fern und wundern sich über einen modernen Song, der wie Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“ tönt. Bei diesen Menschen geht nichts mehr atemlos und wenn einer dann wirklich mal daliegt und ihm der Mund offen steht, dann denken alle eher an einen Atemstillstand - die blonde Lady steckt ihm sofort ein Mikrofon in den Mund und der Ton beweist: Der Mann lebt!

Diese Inszenierung von Alvis Hermanis lebt von Tönen, Worte braucht sie nicht. Und doch verstehen alle, was auf der Bühne gezeigt wird. Es ist das Leben, das lange. Und wenn die Schauspieler sich dann zum Applaus verneigen und plötzlich völlig gelenkig und mühelos durch die vollgestopften Zimmer springen, dann wird den Zuschauern erst bewusst, dass sie einer Illusion erlegen sind. Theater at its best.

 

Das Stück "Long Life" wird am 26. Februar um 20 Uhr im Schaaner SAL gezeigt. Karten beim TAK Theater Liechtenstein