Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Dagmar Ullmann-Bautz · 03. Apr 2017 · Theater

Die letzte Fahrt der MS Europa – Eine spannende Bühnenadaption von "Fellinis Schiff der Träume" am Vorarlberger Landestheater

Es beginnt chaotisch, endet im Chaos und dazwischen entspinnt sich eine witzige, überdrehte und bitterböse Geschichte, die uns, die wir schön gestriegelt und geschniegelt im Theater sitzen, einen Spiegel vorhält, um uns im Laufe des Abends auch mal auf die andere, die dunklere Seite des Lebens zu ziehen. Bernd Liepold-Mosser inszenierte auf seine unnachahmliche Weise eine von ihm entworfene Bühnenfassung von „Fellinis Schiff der Träume“. Gestern war die umjubelte Premiere am Vorarlberger Landestheater.

Verdichtete Bühnenfassung


1983 erschien der Film von Federico Fellini, der kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges spielt und den Niedergang des Fin des Siècle, einer künstlerischen Bewegung, die Ausdruck der Befindlichkeit in den vorangegangenen 25 Jahren von etwa 1890 bis 1914 war, widerspiegelt. Eine illustre, feine, doch dekadente Gesellschaft, alles Opernliebhaber, begibt sich auf eine Schiffsreise um der größten Operndiva, Edmea Tutea, die letzte Ehre zu erweisen und ihre Asche im Meer zu verstreuen. Als der Kapitän ein Boot voller serbischer Flüchtlinge aufnimmt und ein Kriegsschiff deren Herausgabe fordert, eskaliert die Situation. Liepold-Mosser schafft eine auf die Essenz verdichtete Bühnenfassung, mit den wichtigsten Figuren und Bildern.

Beeindruckende Musik


Da der Film-Plot viele Parallelen zum Heute aufweist, findet sich das Stück wieder vermehrt auf den Spielplänen deutschsprachiger Theater, meistens jedoch in unsere Zeit transferiert. Liepold-Mosser hat dies zum Glück nicht gemacht. Wohltuend belässt er die Geschichte in der Zeit und überlässt damit dem Zuschauer die Übersetzung und das Erkennen. Kleine Denkanstöße gibt’s trotzdem, indem er das Schiff „MS Europa“ nennt oder mit der großartigen Vertonung des Gedichtes „In the Desert“ von Stephan Crane, mit dem der österreichische Schauspieler Georg Friedrich heuer in Berlin den Goldenen Bären entgegennahm. Boris Fiala, dessen Musik wir im Bregenzer Theater schon ganz oft genießen durften, hat auch diesmal mit seinen Kompositionen wie Arrangements einfach Beeindruckendes geschaffen. Ein Streichquartett des „ensemble plus“ agiert als Bordorchester und bietet hochmusikalische Leckerbissen.

Außerordentliche Ensembleleistung


Einfach umwerfend die Leistungen der Schauspieler, einfach herrlich die schrägen Charaktere dieser dem Untergang geweihten Gesellschaft. Nicht im Geringsten steht hier Regisseur Liepold-Mosser in seinem diffizilen und sorgsamen Blick auf den Menschen Fellini, dem großen Könner dieser Meisterschaft, nach!

Thomas Schmidt überzeugt als erzählender und kommentierender Journalist Orlando, einer äußerst komplexen Figur voller Widersprüche in seiner Bewunderung, wie auch in seiner Abscheu gegenüber dieser Gesellschaft. Die Opernsängerin Ildebranda Cuffari wird herrlich komisch und auch wieder so tragisch verkörpert von Tamara Stern, die, wie schon früher, mit ihrer wunderbaren Stimme und ihrer musikalischen Kraft begeistert. Gesanglich wie spielerisch einfach großartig Erwin Belakowitsch, der als Tenor Fuciletto komödiantische Leichtigkeit zelebriert. Und auch Jele Brückner beeindruckt und begeistert als blinde Prinzessin mit enorm großer Ausstrahlung. Sir Reginald, der seiner Lady Violet verfallen ist, wird von Daniel F. Kamen gekonnt mit großer Souveränität auch in den peinlichsten Darstellungen gespielt. Katja Uffelmann weiß als Lady Violet nicht nur zu überzeugen, sie entzückt mit ihrer Leidenschaftlichkeit und Hingabe. Auch ein seiner Stellung nicht gewachsener, höchst naiver Großherzog ist mit an Bord. David Kopp verkörpert ihn mit der perfekten Mischung aus Unsicherheit und Autorität. In der Rolle des Dirigenten und Maestros, des ehemaligen Liebhabers der Verstorbenen Diva, fasziniert Alexander Ebeert mit großer Darstellungskraft. Und last but not least als schicksalsentscheidende Person an Bord des Luxusliners zu nennen bleibt der Kapitän, der von Luzian Hirzel, trotz seiner Jugendlichkeit seiner Sache absolut sicher, bemerkenswert verkörpert wird.

Geniale Idee


Es ist ein Genuss dieses Ensemble, das in jeder Sekunde präsent und mit größtem Einsatz auf der Bühne steht, bei seiner Schicksalsfahrt zu begleiten. Der Geniestreich des Regisseurs, das Publikum als serbische Flüchtlinge mit ins Boot zu nehmen, überrascht und gestaltet den Abend umso prickelnder.

Emotionale Lichtstimmungen


Karla Fehlenberg baute ein schräg abfallendes Schiffsdeck auf die Bregenzer Bühne, mit einer Reling und vielen Falltüren, die als Kabinentüren bespielt wurden. Ein großartiges Bühnenbild, das von den Schauspielern einiges an Körpereinsatz abverlangt, versehen mit einem Graben, der die Tiefe des unteren Schiffsraumes erahnen lässt und immer wieder von den Schauspielern überwunden werden muss. Arndt Rössler baute äußerst emotionale Lichtstimmungen, die nicht nur sichtbar machten, was da war, sondern auch Untergründiges erahnen ließen.

„Fellinis Schiff der Träume“ ist Liepold-Mossers vierte Inszenierung in Bregenz, eine Inszenierung die lange nachwirken wird. Das Publikum bedankte sich mit langanhaltendem und begeistertem Applaus.

 

WEITERE AUFFÜHRUNGEN: Fr 07/04, Do 13/04, Di 18/04, Sa 22/04, Mi 10/05, So 14/05

STÜCKEINFÜHRUNGEN: 07/04, 22/04, 10/05, 14/05, jeweils 19.00 Uhr, Kleines Haus, Zugang über T-Café

landestheater.org