Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Anita Grüneis · 27. Sep 2012 · Theater

Die Geometrie der Angst und das poetische Feuer

Weltpremiere im TAK Theater Liechtenstein. Was so groß klingt, war auch groß. Und vor allem international. Die Produktion „Geh mir aus der Sonne“ wurde von der berühmten israelischen Regisseurin Ofira Henig inszeniert, im TAK zu Ende geprobt und dann uraufgeführt, bevor sie von Liechtenstein aus auf Europa-Tournee geht.

Ein kleiner Tisch und viele Stühle. Ein Mann im schwarzen Anzug kommt auf die Bühne, stellt sich an die Rampe und rennt. Das heißt, er läuft auf der Stelle. Flieht er? Wird er verfolgt? Er schwitzt, beginnt sich auszuziehen. Tut er dies freiwillig? Wir wissen es nicht und wir erfahren es nicht. Aber wir ahnen, dass dieser Mann etwas mit all den Menschen zu tun hat, die uns im Laufe des Abends vorgestellt werden: Heinrich Heine, Federico Garcia Lorca, Robert Capa und Leni Riefenstahl. Dazu die Biografien der israelischen und palästinensischen Schauspielerinnen und Schauspieler, die diese verstorbenen Künstler darstellen. Sie alle verbindet die Liebe zu ihrem Heimatland, das Leiden daran, das Nicht-Geliebt-Werden vom eigenen Volk und das Vertriebenwerden. „Das deutsche Herz in meiner Brust ist plötzlich krank geworden“, sagt Doron Tavori als Heinrich Heine. Alle Herzen dieser Künstler sind krank geworden, weil sie ausgegrenzt, verfolgt, verfemt, verstoßen wurden.

Geschichten von Geschichten von Geschichten

Im Zentrum sitzt Rivka Neumann als „Storyteller“. Sie erzählt die Geschichte von Ofira Henig, zu deren Vorfahren auch Felix Mendelssohn gehört und eine deutsche Mutter, viel deutsche Literatur, viele Leben in Berlin und viele Tote im Holocaust. Dazu das Leben im heutigen Israel, das für die Künstlerin schwieriger ist als das im heutigen Berlin. Ironie des Schicksals. Aber auch die anderen Künstler-Biografien erzählen immer wieder das Gleiche – dass ein Künstler in seiner Heimat und in seiner Sprache schaffen muss, dass Kunst der Zweck der Kunst ist wie die Liebe der Zweck der Liebe. Dass man sich selbst, seine Familie inklusive aller „Großväter von den Großvätern“ und deren Kultur überallhin mitnimmt, dass es kein Entrinnen gibt.

Alles eine Frage des Ausschnitts?

Die Geschichte des Kriegsreporters Robert Capa (Nimrod Bergman) und der Filmemacherin Leni Riefenstahl (Salwa Nakkara) erzählt noch etwas anderes über die Kunst: Dass es auch immer eine Frage des Ausschnitts ist, den der Künstler wählt. Ob er die Schönheit der Nuba zeigt oder ihre verfallenen Behausungen, ob er im Krieg den Schützen, also den Täter, zeigt, oder den Erschossenen, das Opfer. Die Ästhetik des Grauens ist ebenso fragwürdig wie diejenige des Faschismus. Wegschneiden, was nicht ins eigene Bild passt oder heranzoomen? Solche Fragen stellten sich unaufdringlich während des Stückes. Ein Abend, der kurzweilig daherkommt, voller Frische, Heiterkeit und Tiefsinn. Wie hieß es so stimmig: „Das Leben ist ein Gelächter in einer Kette von Toten“. Ein starker Auftakt der TAK-Schauspielsaison.