Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Annette Raschner · 11. Mär 2018 · Theater

Die Geister der Vergangenheit - „Die Unverheiratete“ am Vorarlberger Landestheater

Bei der Uraufführung von Ewald Palmetshofers Stück „Die Unverheiratete“ am Akademietheater Wien vor vier Jahren konnte Regisseur Borgmann auf ein starkes Frauenensemble setzen. Elisabeth Orth erwies sich als Idealbesetzung für die herrische Alte, Stefanie Reinsperger gab „die Junge“ mit unbändiger Energie. Ein Jahr später wurde das von Palmetshofer komplex verschachtelte und auf mehreren Zeitebenen spielende Drama für sieben Schauspielerinnen mit dem Mühlheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet. Das Vorarlberger Landestheater hat „Die Unverheiratete“ anlässlich 80 Jahre Anschluss auf seinen Spielplan gesetzt. Samstagabend feierte die Produktion in der Regie des aus Heidelberg stammenden Philip Jenkins eine durchaus gelungene Premiere.

Ein Häufchen Mensch liegt zusammengekrümmt auf dem Boden. Es stöhnt leise. Es ist „die Alte“, die gestürzt ist und deshalb ins Krankenhaus muss. Doch die Lebensgeister der 96-Jährigen kehren erstaunlich schnell zurück. Als sie von ihrer Tochter, „der Mittleren“, besucht wird, herrscht sie sie an, dass sie hier - bei diesen Kranken - nicht schlafen könne. „Die Mittlere“ scheint um einiges gebrechlicher zu sein als ihre alte Mutter, obwohl sie sichtlich um Disziplin und Kontrolle mit viel Bemühen ringt. Ihr blondes Haar sitzt wie ein fester Ring um den verhärmten Kopf, und das strenge Kostüm in Dunkelblau umhüllt einen ausgezehrten Körper. Die Lebensgeister scheinen sie verlassen zu haben, ganz oder noch anders ist es um ihre Tochter, „die Junge“, bestellt. Die vernascht einen Mann nach dem anderen; Großes Vergnügen scheint ihr aber nicht der Liebesakt, sondern das Abfotografieren von Körperteilen des ihr fremden Mannes zu bereiten. „Die Alte“ weist sie auf ein Heft hin, das sie, „die Junge“ lesen soll. Ein Heft mit Lebenserinnerungen einer Frau, die einen jungen Mann auf dem Gewissen hat, sich die Schuld an dessen Tod aber nicht eingestehen möchte. Schließlich sei sie „nie politisch gewesen“, betont sie in einer der vielen Rückblenden, bei der „die Junge“ ihren Part verkörpert. Sie habe „aus Pflicht“ den jungen Soldaten, der desertieren wollte, denunziert, worauf dieser hingerichtet wurde.

Faszinierende Sogwirkung

Was macht es mit einem Menschen, der Schuld auf sich geladen hat, und was macht es mit seinen Nachkommen? Diese Frage stellt Ewald Palmetshofer mit einer stark rhythmisierten Sprache, die ganz in der österreichischen Literaturtradition steht. Zu Beginn fällt es nicht leicht, in diese Sprachwelt, die der Musik stärker als den Fakten verpflichtet zu sein scheint, hineinzukippen. Doch einmal drinnen, spürt man eine faszinierenden Sogwirkung. Entstehen kann diese selbstverständlich nur dadurch, weil diese Sprache so vermeintlich selbstverständlich von einem glänzenden Frauenensemble verwendet wird. Ein besonderes Gefühl fürs Timing müssen die hundsmäuligen Schwestern aufbringen, schließlich greifen die Sätze der Vier, die das Geschehen meist im Hintergrund kommentieren beziehungsweise die Gedanken der drei Frauen - ihre Erinnerungsfetzen, ihre Ängste - nach außen tragen, permanent ineinander. Sara Zaharanski, Bo-Phyllis Strube, Nathalie Thiede und Loretta Pflaum lösen diese Aufgabe mit Bravour.

Die Bühne besitzt zwei Ebenen. Im vorderen Teil dominiert das Element Holz, Bretter sind scheinbar beliebig zusammengeschraubt worden, das Gehen ist mehr ein Balancieren als ein Dahinschreiten. Es hat fast den Anschein, als ob ein falscher Schritt in den Abgrund führt. Im hinteren Teil der Bühne agieren die Hundsmäuligen als Richter, Krankenschwester, Ankläger - je nachdem. Der Raum wirkt antiseptisch. In ihm befinden sich vier altmodische weiße Liegen. Schließlich werden zahlreiche Reisen ins Jahr 1945 unternommen, und die Geister der Vergangenheit leben wieder auf und geben keine Ruhe.

Das Psychogramm von drei Generationen

In seinem sprachlich herausragenden Text hat der österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer das Psychogramm von drei Generationen von Frauen gezeichnet, deren untrennbares Verbindungsband Schuld heißt. Er erzählt von Handlungen, die Folgen haben, selbst für Generationen, die erst weit im Nachhinein von den Handlungen erfahren. Ein Ansatz, wie er auch bei der so genannten Familienaufstellung vertreten wird. Die Katharsis - sie kann hier nicht einsetzen, weil die Alte (herausragend!: Babett Arens) nicht willens ist, ihre Verfehlungen zuzugeben. Die Hoffnung auf ein Ende der Verstrickungen keimt erst auf, als die Alte Selbstmord begeht - am Strick wohlgemerkt.

Das Premierenpublikum: Es ließ sich vom anspruchsvollen Text, der akribischen Regie und der überzeugenden Leistung der sieben Darstellerinnen (neben Arens sorgten Lilly Prohaska als die Mittlere und Mara Widmannn als die Junge für zahlreiche weitere Höhepunkte) in den spannenden Handlungsstrom rund um Verantwortung, Schuld und Verdrängung ziehen. Kräftiger Applaus!

 

 

Weitere Aufführungen: Do 15.3. / Di 20.3. / So 25.3. / Sa 7.4. / Fr 13.4. / Mi 18.4., jeweils 19.30 Uhr, Großes Haus
Stückeinführungen: Do 15.3. / Di 20.3. / So 25.3. / Sa 7.4. / Fr 13.4. / Mi 18.4., jeweils 19.00 Uhr, Großes Haus

www.landestheater.org