Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Annette Raschner · 11. Okt 2018 · Theater

Der Zaubertrickkiste entnommen - "Welt am Draht" am Vorarlberger Landestheater

Die zweite Produktion des Vorarlberger Landestheaters in dieser Spielzeit hat es in sich! "Welt am Draht" ist ein Stück, das Regisseur Niklas Ritter auf Basis von Rainer Werner Faßbinders gleichnamigem, zweiteiligem Fernsehfilm von 1973 geschrieben hat. Der Film knüpft wiederum an einen Science-Fiction-Roman der 1960er Jahre an: "Simulacron-3" von Daniel F. Galouye. Er zeigt zu einer Zeit, in der das WorldWideWeb am CERN noch lange nicht erfunden war, auf, wie in einer digitalisierten Welt die grenzenlose Datenansammlung missbraucht werden kann. Am Landestheater könnte sich "Welt am Draht" zum Hit entwickeln!

Fred Stiller, der neue technische Direktor am Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung, kämpft mit heftigen, immer wiederkehrenden Kopfschmerzen. Einer seiner Mitarbeiter, Sicherheitsbeauftragter Günther Lause, verschwindet spurlos, nachdem er Stiller Hintergründe über den überraschenden Tod von seinem Vorgänger, Professor Vollmer, erzählen wollte.
Herbert Siskens, der dem Institut vorsteht, übt Druck auf Stiller aus. Die ersten Tests des neuen Softwareprogramms "Simulacron" sollen endlich anlaufen, nachdem auch schon ein Unternehmen großes Interesse angemeldet hat. 60.000 sogenannte Identitätseinheiten - Datensätze mit menschlichen Eigenschaften - sollen Auskünfte über die Entwicklung der Menschheit liefern. Als Wissenschaftler hat Fred Stiller hehre Absichten, doch zu viele andere Interessen sind im Spiel. Außerdem wird das Programm immer undurchschaubarer. Die Identitätseinheiten sind nicht mehr in Schach zu halten, unten drängt nach oben, und wer wirklich oben sitzt, ist auch nicht klar...
Es ist faszinierend und erschreckend zugleich, wie Galouyes Dystopie aus den 1960ern Realität geworden ist. Regisseur Niklas Ritter hat das Werk da aktualisiert, wo es nötig war und mit einem enorm spielfreudigen Ensemble ein Regiekonzept entwickelt, welches eine Sinnlichkeit entfaltet, dass es eine wahre Freude ist!

Theater als Gesamtkunstwerk

Ritter setzt ganz auf die Kraft des Theaters, auf dessen Magie und Verzauberungsmacht, und er landet damit einen Volltreffer. 
Es war die goldrichtige Entscheidung von ihm und seinem Bühnenbildner und Lichtdesigner Norman Plathe, auf Videowelten, wie sie heute in diversen Cyberspacesimulationen vorkommen, gänzlich zu verzichten. Auf einer leeren Bühne ohne Bühnenbild bestimmen allein Nebel und Lichtspots das Geschehen. 
Der zweite große Pluspunkt der Inszenierung: Es gibt keine Zu- und Einspielungen. Alle Songs und Sounds, inklusive Kaffeetassengeklapper, werden live produziert. Und das derart gekonnt, dass man glauben könnte, einem Täuschungsmanöver zu unterliegen. 
Apropos Täuschungsmanöver: Es gilt, genau hinzuhören! Das Werk stiftet bewusst Verwirrung, es besteht durchaus Gefahr, sich in den virtuellen Welten zu verirren!
Theater als Gesamtkunstwerk - es gibt es noch, und es vermag auch heute noch zu faszinieren. Zumal Ritter auf ein grandioses, enorm spielfreudiges und hochmusikalisches DarstellerInnenteam (Felix Defèr, Jan Kersjes, Johannes Frick, Katharina Uhland, Nicolas Garin, Stefan Hartmann und Luzian Hirzel) zugreifen konnte.
Jubel am Vorarlberger Landestheater!

Weitere Vorstellungen:
19./25.10. und 10./14./18.11.
jeweils um 19.30 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz