Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Dagmar Ullmann-Bautz · 17. Okt 2010 · Theater

Das Böse trägt ein menschliches Gesicht

Am Freitagabend erlebte das Bregenzer Premierenpublikum einen treffsicher inszenierten und vom Ensemble mitreißend servierten „Richard III“. Und dies trotz oder gerade wegen der zahlreichen, eingangs vordergründig gesetzt anmutenden chaotischen und das gesamte Bühnengeschehen umfassenden Elemente, die sich letzten Endes zu einem ungemein stimmigen, völlig konformem Ganzen arrangierten.

„Richard III“ gehört in den Zyklus der  Königsdramen und auf Grund seiner Geschlossenheit, wie auch durch das mächtige Hervortreten des scharf gezeichneten Charakters des Helden zu den beliebtesten von Shakespeares Königsdramen.

Ein dämonischer Obermensch

Gleich zu Beginn erklärt Richard III. klar und unmissverständlich, dass er nicht geschaffen sei, froh und nett zu sein, nein er ist ein Bösewicht, ein dämonischer Obermensch. Ein gewaltiger Schauspieler, ein Manipulant, der die Menschen zwingt an seine Worte und Mienen zu glauben und sie so zu seinen Zwecken dienstbar macht oder zerschmettert. Sein gesamtes Streben gilt der Erlangung der Königskrone und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Er lügt, betrügt, er mordet und metzelt nieder - alles und jeden, der ihm und seinem Begehren im Wege steht. Die Karten liegen auf dem Tisch!
Im Rampenlicht enthüllen sich höchst anarchische Zustände. Auf einer Bühne (Gerhard Fresacher), gefüllt mit Unmengen an Nützlich- und  Unnützlichkeiten entwickelt sich entsprechend die Handlung, vollgepackt mit treffenden Zitaten und genial-verrückten Ideen, so dass es beinahe Mühe macht, die zahlreichen Perlen einzusammeln und zu sortieren. Gemeinsam mit den kurios-verworrenen Kostümen, den anarchischen Tönen, Geräuschen und Samples, die allesamt live und höchst professionell vom Ensemble produziert und eingespielt werden, entfaltet der Abend seine eigene, komplexe und sich stets weiter entwickelnde Diktion, wozu Dirk Diekmanns (alias Kai am See) Textfassung mit ihren sprachlichen Salti Mortale, einem freien Spiel mit Dialekten, Jugendsprache, Färbungen etc., das Ihrige beiträgt.

Großartige Leistung des gesamten Ensembles

Wunderbar die Schöpfung dieser armseligen und im Grunde bedauernswerten Kreatur – eine Schlüsselszene für alles Folgende. Ein ferner, kalter Gott wirft, ja kickt ein Paket von einer hohen Rampe aus zu Boden. Darauf verlässt Gott das Geschehen und wird nicht mehr gesehen. Das Menschlein, nackt und bloß, streckt seinen Kopf aus dem Karton gleich einem neugeborenen Küken, unschuldig noch und rein. Doch das Schicksal hat schon geschneidert, sein Anzug liegt bereit und er wird ihm übergestreift, ob er will oder nicht!
Bewundernswert der junge Schauspieler Maximillian Laprell in der herausfordernden Rolle des Richard. Dass dem Dämonisch-Bösen dabei nicht immer vollends Ausdruck verliehen wird, spielt kaum eine Rolle und ist wohl der Jugendlichkeit des Protagonisten geschuldet, doch gerade in Momenten gespielter Menschlichkeit versteht Laprell es ungemein überzeugend, tiefste Grausamkeit zu legen. Ebenso beeindruckend seine großartige Bühnenpräsenz, seine verbale und akustische Brillanz.  Mit Michael Schiemer stellt der Regisseur der Hauptfigur einen Archetypen zur Seite, der einen ganz anderen Richard spiegelt – einen sanften, das Cello streichenden Mann und zollt damit der historischen Figur des König Richard, der ein gerechter und auch musischer Mensch gewesen sein soll, Respekt.

Starke Frauen stiften Hoffnung

Im Stück ein tragisch-köstliches Paar – ob sie gemeinsam nun morden, kasperln oder singen: Richard und Buckingham (Alexander Julian Meile), der den König beinahe bis zum bitteren Ende begleitet und deren Schicksale von Anbeginn verwoben sind. Die gestressten Edelmänner, Martin Olbertz und Andreas Jähnert, geraten ständig zwischen die Fronten und leiden zum Amüsement des Publikums unter unruhigem Schlaf mit gar schrecklichen Träumen. Mit großer Souveränität und Überzeugungskraft behaupten sich die drei Jugendlichen Linn Ritsch, Fabienne Lässer und Nico Raschner, alle drei Mitglieder des Jugendclubs des Landestheaters.
Es sind die Frauen, die, mit ungeheurer Stärke und Kraft, unbeirrt durch diesen Männersturm segeln. Lady Anne (Katrin Hauptmann), Königin Elisabeth (Stephanie Brenner), Königin Margaret (Tamara Stern) und die Herzogin von York (Angelika Bissmeier) leiden unter all der blutigen Herrschaft und Gewalt, geben keineswegs klein bei, sondern wachsen über sich hinaus und halten mit weiblichem Instinkt und weiblicher Intelligenz die Fäden in der Hand. Ein kluger Schachzug der Regie, der  versöhnlich ist und Hoffnung stiftet.