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Ingrid Bertel · 09. Nov 2013 · Theater

Betrogene Menschen - Uraufführung von Thomas Weltes "Das Verhör" im Theater Kosmos

Mit der Uraufführung von Thomas Weltes Drama „Das Verhör“ und einer Gedenkveranstaltung für ZwangsarbeiterInnen im Raum Bregenz taucht das Theater Kosmos in die Zeitgeschichte ein und erzählt von Menschen, die um ihre Jugend betrogen wurden.

„Vielleicht denkt man auch über die November-Pogrome nach“ meinte Theaterdirektor Hubert Dragaschnig auf die Frage, warum er im November 2013 unbedingt ein Stück Zeitgeschichte auf die Bühne stellen wollte. Einen Tag nach der Uraufführung von Thomas Weltes Drama „Das Verhör“ lud das Theater zu einer Gedenkveranstaltung für die ZwangsarbeiterInnen, die zwischen 1939 und 1945 nach Bregenz verschleppt wurden.
Seit die Historikerin Margarethe Ruff in den 1990er Jahren begonnen hatte, das Thema zu erforschen, war das Theater immer wieder Partner bei Veranstaltungen zu diesem Thema. Zum Beispiel, als Werner Bundschuh und Margarethe Ruff Geld sammelten, um es jenen ehemaligen ZwangsarbeiterInnen aus der Ukraine zu überbringen, deren Biografien Ruff nachverfolgen hatte können. Denn erst im Jahr 2000 konnte sich die Republik zu einem „Fonds für freiwillige Leistungen der Republik Österreich an ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiter der nationalsozialistischen Regimes“ durchringen.

„Dass wir in Bregenz waren, darüber haben wir geschwiegen“


4.000 Menschen, die in Vorarlberg Sklavenarbeit verrichten mussten, wurden seither „entschädigt“. Die Gedenkveranstaltung auf Initiative von Herbert Pruner hatte also einen durchaus versöhnten Grundton. Margarethe Ruff und Werner Bundschuh sprachen über den Alltag jener Jugendlichen, die Bregenzer Handwerkern, Bauern und Unternehmern als billige Arbeitskräfte zugeteilt worden waren. Die Schauspielerin Heide Capovilla las aus Briefen nach Bregenz, oft sehr zarten Erinnerungen. In menschenverachtendem NS-Befehlston dagegen waren jene Anweisungen gehalten, die Alexander Julian Meile ins Gedächtnis rief.  Und dann sang ein ukrainischer Chor zum Akkordeon jene leisen melancholischen Volkslieder, die auch in Vorarlberg jedes Kind kennt.

Fast wie der Führer…


Das Bühnenbild, in dem der ukrainischen Zwangsarbeiter gedacht wurde, zeigt ein abgewohntes Zimmer. Auf der fleckigen Tapete hing wohl vor Kurzem noch ein Hitlerbild. Jetzt hat sich die französische Armee hier eingerichtet und nutzt dem Raum, um Nazi-Täter zu verhören. Ein junger Mann wird hereingeführt. Nein, er rauche nicht. Auch den angebotenen Schnaps lehnt er ab. Ob er vielleicht auch kein Fleisch esse und also ganz wie der Führer lebe? Und was sein zweiter Vorname sei? Adolf! So, so!
Der junge Mann, Paul Gmeiner, sagt, er sei in diesem Raum schon einmal verhört worden, von Nazis. Für die war er Deserteur. Wieso er jetzt plötzlich als Nazi betrachtet werde?

Thomas Welte hat sich für sein Stück „Das Verhör“ an den Biografien jener Deserteure orientiert, die sich ab Ende 1943 im Großen Walsertal versteckt hielten und von denen nur einer sich später über diese Zeit äußern konnte: Tobias Studer. Doch der Krimi, den Welte rund um diesen Mann aufbaut, hat mit historischen Fakten nur sehr wenig gemein: Paul Gmeiner könnte ja eingesetzt worden sein, um Deserteure zu enttarnen, vermutet die französische Soldatin, die ihn verhört. Eine bizarre Idee! Und dass in den Reihen der französischen Armee um 1945 Frauen Dienst taten, wäre auch neu. Dass sich aber ein Verhör als trautes tête à tête abspielt, ist restlos unplausibel. Warum die historische Vorlage, wenn der Autor sich so weit davon wegbewegt? Das habe dramaturgische Gründe, meint Thomas Welte. Und Regisseur Hubert Dragaschnig pflichtet ihm bei: Wenn zwei Personen, zumal zwei derart beschädigte Personen, auf engem Raum einander ausgeliefert sind, kann ein ehrliches Gespräch entstehen. Und darum gehe es in „Das Verhör“.

„Das darf Ihnen jetzt leid tun!“


Denn die Frau, die Paul Gmeiner verhört, hat Rache geschworen.  Sie hat jene sieben deutschen Soldaten getötet, die sie vergewaltigten und den Selbstmord ihrer kleinen Tochter verursachten. Welte zeigt sie uns als eine Art Black Mamba im Stil Quentin Tarantinos. „Jetzt hab ich Sie an den Eiern, Herr Gmeiner“, sagt sie in jenem unsäglichen Wenzel Lüdecke-Deutsch, das für seine ungelenke Übersetzung amerikanischer Idiome bekannt ist. Wie ehrlich kann ein Gespräch werden, für das beiden die Sprache fehlt? Denn auch an Paul Gmeiners Rabulistik erinnert rein gar nichts an den Bauernsohn, der Senn werden wollte und am Soldatenleben an der Ostfront zuschanden ging.

Dabei brennt in Stefan Pohl die ganze Traurigkeit dieser zerbrochenen Jugend, und wenn er eine Zumutung erschrocken zurückweist, wirkt er beinah wie ein Kind. Glanzvoll auch Anja Pölzl als Soldatin, die, ihr zerschossenes Bein nachziehend, schmal und rachsüchtig, den Deserteur umkreist. Unter der Härte ist immer auch ihre Verletztheit präsent und ihre Sehnsucht, die eigene Schlaflosigkeit, die eigene Angst vor den immer gleichen, immer vernichtenden Alpträumen wenigstens einmal einem verstehenden Menschen erzählen zu können.

Werner Schönolts Bühnenbild zwängt die beiden in eine schäbige Puppenstube, und wir sehen leicht von oben herab auf diese beiden gequälten Geschöpfe, die getötet haben, töten mussten und darüber mürbe und trostlos geworden sind. Blitzartig richtet Markus Holdermann immer wieder seine Verhörlampen in den Zuschauerraum; Herwig Hammerls Musik – ein anschwellendes Dröhnen, das in zerhackte Rhythmen zerfällt – akzentuiert die Ausweglosigkeit dieser Fragestunde. Schuldig sind beide, instabile Personen und Halt ist nirgends.

Hubert Dragaschnig wendet als Regisseur eine ungeheure Energie auf. Wenn in seiner Inszenierung für den Besucher das fehlt, was Theater zum fundamentalen Erlebnis macht, dann hat das einen einzigen Grund: Der Autor lässt ihn dabei im Stich.


Weitere Vorstellungen:
09., 15., 16., 20., 21. November 2013
16., 17., 18., 23., 24., 25. Jänner 2014, 

jeweils 20 Uhr