Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Peter Füssl · 08. Nov 2016 · Theater

aktionstheater ensemble mit Nestroy-Preis ausgezeichnet

Martin Gruber und sein aktionstheater ensemble wurden für die Produktion "Kein Stück über Syrien" mit dem Nestroy-Preis für die "Beste Off-Produktion" ausgezeichnet.

Eine außerordentliche, pointierte, politisch inkorrekte Performance ...

 

Lothar Lohs schreibt in der Jury-Begründung dazu: "Martin Gruber hat mit seinem „aktionstheater ensemble“ im Off-Theaterbereich neue Maßstäbe gesetzt. Das wurde schon bei der letzten NESTROY Gala gewürdigt, als er mit 'Pension Europa' nominiert war. Dieses Jahr hat Martin Gruber die Jury mit 'Kein Stück über Syrien' für sich gewonnen. Wieder hat der Regisseur, der sich mit seinen Schauspielern als schnelle Eingreiftruppe versteht – was unter den Nägeln brennt, gehört auf die Bühne - wieder hat also Martin Gruber ein aktuelles Thema aufgegriffen, das Thema der Stunde: das ganz reale Flüchtlingsdrama. Der Regisseur hat das Stück wie zuletzt immer zusammen mit dem Ensemble entwickelt und bricht das Problem auf die scheinbar subjektive Sicht der Akteure herunter. Entstanden ist daraus zur Livemusik von Panda Pirate eine außerordentliche, pointierte, politisch inkorrekte Performance über Helfen, Helfenwollen und Egozentrik in den Zeiten der Konfrontation mit Flüchtlingsströmen. Also kein Stück über Syrien, aber dadurch erst recht."

Ein grandioser Mix

 

So hat es auch unsere Kritikerin Dagmar Ullmann-Bautz bei der Premiere letztes Jahr im Dezember am Dornbirner Spielboden gesehen: " Jedes Wort ist so genau, so wunderbar sensibel gesetzt und es trifft entweder, volle Ladung, das Zwerchfell und/oder, gut gezielt, auch mitten ins Herz. Das ist Martin Gruber-Style vom Allerfeinsten. Absolut nichts Überflüssiges und doch so viel scheinbar Nebensächliches durchzieht den Theaterabend, von der Völkerwanderung der Bienen über Vorlieben bei der Pediküre, exhibitionistische Charakterzüge und Adabeis bis zu persönlichen Eitelkeiten und Eifersüchteleien. Ein grandioser Mix, in dem nichts dem Zufall überlassen wurde, der tief unter die Oberfläche blicken lässt und punktgenau den Nerv der Zeit trifft."

aktionstheater ensemble demnächst am Spielboden: "Immersion. Wir verschwinden"

 

"Immersion. Wir verschwinden" heißt die neueste Produktion des aktionstheater ensembles, die nach der Uraufführung bei der argeKultur Salzburg (10.-13.11.) und im Werk X-Eldorado in Wien (24.-26.11.) am 29.11. und 1., 2. und 3.12. auch am Spielboden in Dornbirn zu sehen sein wird, wo das aktionstheater ensemble seit vielen Jahren jeden Herbst gastiert.

In der aktuellen Ausgabe der KULTUR-Zeitschrift vom November 2016 ist folgendes Interview von Jürgen Schremser mit Martin Gruber und Martin Ojster zu finden - damals freute man sich noch über die Nominierung für den renommierten Wiener Theaterpreis:

Jürgen Schremser: „Immersion“ – was interessiert Euch daran?

Martin Ojster: Schon die astronomische Immersion als Eintauchen des Mondes in einen Planetenschatten hat eine sinnbildliche Qualität, die uns beschäftigt: das Verschwinden des einen Körpers hinter etwas schemenhaft Größerem.

Martin Gruber: Das illustriert ganz gut was die digitale Immersion, das Eintauchen in eine interaktive virtuelle Realität, verlockend macht. Es ist das Angebot, die persönliche und widersprüchliche Wirklichkeit hinter eine Wunschperson treten zu lassen, einen attraktiven und kontaktfreudigen Mitspieler.

Schremser: In den Texten zum Stück legt Ihr den Geltungsdrang und die Eitelkeiten von Schauspielern und Schauspielerinnen frei, die auf Sichtbarkeit und Resonanz angewiesen sind.
Gruber: Das Netz lockt mit Wunsch-Avataren und der Selbst-Bestätigung in sozialen Medien, es ist so gesehen eine Bühne mit Auftritten, Rollen und Applaus. Schauspieler sind prädestiniert, ja darauf angewiesen, ihr Profil zu pflegen und die Oberfläche bei Bedarf zu retuschieren. Wir drücken uns hier nicht um eine Portion „Selbstverarschung“. Der ironische Blick aufs eigene Metier ist für mich ein Ausgangspunkt, um im Stück ein allgemeines Phänomen greifbar zu machen: die geradezu gewohnheitsmäßige Sorge um Erreichbarkeit und Sichtbarkeit.
Schremser: Die Sorge ist in einer geldgetriebenen Konkurrenz-Ökonomie ja nicht unbegründet?
Gruber: Natürlich, aber zu welchen Verhaltensweisen führt sie in einer von Medien bestimmten Gesellschaft, in der sowohl politisch als auch digital die Teilhabe propagiert wird? Die kapitalistische Ideologie, dass alle eine Chance im Wettbewerb haben, lebt als Verheißung weiter, dass im Netz und seinen unabsehbaren Wirkungen eine Weltkarriere wartet.
Schremser: Und die will man sich nicht durch Medien-Abstinenz vertun.
Gruber: Bei Strafe des sozialen Todes, der allemal schwerer wiegt als der leibliche. Der Sog, der von social media ausgeht ist nach meinem Gefühl getrieben von einer ungeheuren Angst zu verschwinden.
 

Die herkömmliche Ordnung wird umgedreht

Schremser: Demgegenüber werden die leiblichen Erfahrungen einschließlich jener der Natur um uns nach meinem Eindruck etwas abgedämpft. Im Text meint ein Akteur, dass er im klimatisierten Mercedes von Sardinien nichts mitbekommen hat: „Ich sitze hinter getönten Scheiben und sehe und rieche nichts.“ Die Natur „draußen“ wird dann zu einer tollen Kulisse und zu einem Erlebnispark.
Ojster: Und Schauplatz für die höchste, sprich höchstgelegene Stand-Up-Comedy.
Schremser: Im Sog der Immersion lässt sich aus jeder Gelegenheit ein Event oder etwas „Cooles“ machen.
Gruber: Im Zeichen des Virtuellen, also Möglichen, erhält alles ein Machbarkeitsetikett. Ob als Natur-Kulisse, als kosmetische Oberfläche oder als menschliche Begegnung, die ich über Kontaktplattformen auswähle und vorbereite.
Ojster: Wir drehen im Stück die herkömmliche Ordnung auch einfach um, die Kategorien aus den „social media“ definieren jetzt Beziehungen schlechthin. Einer der Teilnehmer an einem Shooting im Himalaya trifft allerhand neue Leute, das sind dann halt chilenische Freunde, Nepalesen-Freunde, eben „friends“.
Schremser: Das ist die Fraternité des 21. Jahrhunderts! Euer karikierender Blick auf die Gegenwart kommt an. Ihr seid mit „Kein Stück über Syrien“ erneut für den renommierten Nestroy-Preis in der Kategorie „Beste Off-Produktion“ vorgeschlagen. Was bedeutet Euch das?
Ojster: Also diese Nominierungen in Folge sehe ich als enorme Bestätigung für unsere Arbeit!
Gruber: Offensichtlich geht es nicht nur um die einzelne Produktion, sondern um die Arbeit als solches. Das ganze Ensemble wird damit honoriert.
 
 

„Immersion. Wir verschwinden“
von Martin Gruber und aktionstheater ensemble
in Koproduktion mit argeKultur Salzburg
Buch/Regie: Martin Gruber
Text: aktionstheater ensemble, Martin Gruber und Claudia Tondl
Dramaturgie: Martin Ojster
Musik: Sonja Romei
Bühne: Sebastian Spielvogel
Mit Susanne Brandt, Michaela Bilgeri, Martin Hemmer, Andreas Jähnert, Sonja Romei, Kristian Musser
argeKultur Salzburg: 10.,12.,13.11., 20 Uhr
WerkX-Eldorado Wien: 24., 25.,26.11., 20 Uhr
Spielboden Dornbirn: 29.11. und 
1./2./3.12., 20.30 Uhr

www.aktionstheater.at
www.spielboden.at 
www.argekultur.at
 
http://werk-x.at/spielstaetten