„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Mirjam Steinbock · 25. Mär 2017 · Tanz

Von der Kunst, mit dem Körper eins zu sein – TanzuferInternational zeigt mit "creatura" die Schönheit des Wesens

Rungelin bei Bludenz ist ein pittoreskes Dorf mit schmalen, kurvigen Straßen und alten Häusern. Gleich neben der Ortskapelle liegt das Atelier Capelli, dessen BetreiberInnen über die Jahre vielen Kunstschaffenden Raum boten. So auch Ursula Sabatin, künstlerische Leiterin von Tanzufer, die die gute Gastgeberschaft der Capellis schätzt. Für die Premiere ihrer neuen Produktion wählte sie erneut diesen Ort mit seiner ausgefallenen Architektur und dem fantastischen Ausblick. Gemeinsam mit Bettina Neuhaus und Paolo Cingolani pflanzte die Künstlerin „creatura“ passgenau in das Atelier ein. Von einem Stück oder einer Produktion zu sprechen, wird „creatura“ allerdings kaum gerecht. Hierbei handelt es sich vielmehr um ein eigenes Wesen, dem das Trio mit Tanz, Sprache, Improvisation und viel Erfahrung authentisch Leben einhaucht.

Es startet im Kellergewölbe des Ateliers, in dem die TänzerInnen dem Animalischen und den Instinkten Ausdruck verleihen. Paolo Cingolani und Bettina Neuhaus liegen mit nacktem Oberkörper auf einem Schaffell am Boden, Ursula Sabatin steht mit nackten Beinen und gebeugtem Kopf in einer Ecke. In der Kühle des Kellers, bei diffusem Licht und untermalt von einem Soundteppich schnaufen, knurren und atmen die PerformerInnen geräuschvoll. Die Bewegungen sind anfangs verzögert und minimal. Die Konzentration legt sich auf die Gestalten und ihre Töne, bis sich zwei von ihnen langsam erheben und die Stufen hinauf gehen während die dritte Gestalt am Boden liegen bleibt.

Vom Instinkt zum sozialen Miteinander


Im oberen Stockwerk ein rechteckiger Raum mit hohen Decken und Holzboden. An der Stirnseite ein brauner Wandteppich, gegenüberliegend drei Stuhlreihen; an den Seiten ein hohes Regal und gegenüber eine Fensterfront. Die Zuschauerreihen sind gefüllt, der Platz ist beengt, man befindet sich unmittelbar auf der Tanzfläche, auf der sich Sabatin und Cingolani befinden und performen. Neuhaus folgt nach einer Weile, mittlerweile sind alle angekleidet. Was im Keller noch etwas undefinierbar schien, wird in diesem Stockwerk greifbar und konkret. Vom instinktiven Verhalten in einer dunklen Höhle mitten in das soziale Miteinander des hell beleuchteten 21. Jahrhunderts. Der thematische Sprung ist so steil wie die schmalen Stiegen vom Keller in das Mittelgeschoss. Das Trio holt die Zuschauenden jedoch ab und nimmt sie mit in eine überaus klare Konversation bestehend aus anfangs unverständlichen Lauten.

Körper und Ton


Die Beziehung des Trios zueinander, der Wechsel von Soli zu Duos und die Anordnung der Tanzenden im Raum gleicht einer Architektur der körperlichen Kommunikation und sie macht es so leicht wie verführerisch, dem Geschehen zu folgen. Bettina Neuhaus kombiniert ihre anmutigen Bewegungen mit einer klaren Stimme, Paolo Cingolanis Erfahrung in Kampfkunst ist unübersehbar und seine Mimik clownesk und Ursula Sabatin zeigt ihre Wandlungsfähigkeit in humorvoller und selbstreflektierender Darstellung. Alle drei sind in ihrer individuellen Tanzsprache erkennbar, das Vokabular scheint unerschöpflich. Sprache – sowohl in ganzen Sätzen in deutsch als auch in englischen Schlagworten – und Bewegung sind eins. Der Körper ist der Impulsgeber für den Ton, er formt seine Existenz und spürt ihm im Raum nach. Genau an dieser Stelle wird bewusst, wie oft man selbst Sprache, Töne und Atem von Körperbewegungen isoliert.

Überraschende Wendungen


„creatura“ zeigt Wesenheiten des Menschen im Zusammenhang des sozialen Miteinanders. Die Nähe zwischen Tanzenden und Publikum macht demnach Sinn und das Überzeugende an der Arbeit der KünstlerInnen ist, dass sie die Zuschauenden sensibel und bedacht mitnehmen, ohne sich selbst zu vernachlässigen. Ein einstündiges Stück, das mit spontanen Wendungen überrascht und dem oft schwer zu vermittelnden Kunststil Improvisation an Ort und Stelle einen Aha-Effekt gibt.

Die Nacktheit zu Beginn des Stücks steht am Ende allerdings wie ein Fragezeichen in der Luft. Der Sinn erschloss sich nicht ganz. Ging es um die Verletzlichkeit des Menschen oder um etwas Pures? Und auch eine dritte Ebene, über die das Atelier architektonisch durchaus verfügt, hätte dem dramaturgischen Aufbau gut getan. So überwog die zweite Ebene als Hauptteil mit all seinen Momenten des kraftvollen, energetischen Tanzes, den lautlosen Schritten, schlüssig ausgeführten Bewegungen, mit komischen Momenten, synchronen Bewegungen jenseits choreografischer Vorgabe und der Füllung des Raums mit universellen Klängen.