"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Mirjam Steinbock · 17. Okt 2015 · Tanz

Um ein Quantum Angst - Silvia Salzmann in der Alten Seifenfabrik in Lauterach

Die Vorarlberger Tänzerin und Choreografin Silvia Salzmann macht mit „still afraid“ die Alte Seifenfabrik zum kunstübergreifenden Hotspot und bringt das Thema Angst auf die Bühne. Dies als Bühnenstück zu titulieren, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Es geht vielmehr um ein Gesamtkonzept mit Videos, Fotografien, persönlichen Einblicken in den Prozess, Stationen mit Aufgaben für das Publikum und kleinen Details, wie von der Decke hängende Kaugummis, die man im Vorbeigehen entdeckt. Das künstlerische Kernteam mit Silvia Salzmann, Sarah Mistura und Thomas Geismayr lässt zeitgenössischen Tanz und Performance, Breakdance-Elemente, Fotocollagen und Videographien aufeinandertreffen und überlappen. Dieses einander Zuarbeiten erinnert an die industrielle Produktion, in der verschiedenste Teile miteinander verpresst und am Ende zu einem Ganzen werden. Eine kluge Wahl, die ehemalige Fabrikshalle mit ihren weiß getünchten Wänden dafür zum Spielort zu machen.

Die Seifenfabrik bietet mit ihren Mauern strukturierte Flächen für Projektion und Bildpräsentation. Das passiert in Anlehnung an das Überthema Angst und ist verbunden mit der Frage, wie verschiedene Generationen damit umgehen. Eine gut durchdachte Kombination und Verquickung, die am Premierenabend vom Publikum sehr gut angenommen wurde.

Der Tanzstil, ein Markenzeichen


Wer Arbeiten von Silvia Salzmann kennt, weiß, dass sie sich gern mit KünstlerInnen anderer Sparten zusammen tut. Raum, Ausstattung, Projektion und Sound sind immer wesentliche Elemente. Sie bringt dann schon mal ganze Bäume und einen Rollrasen auf die Bühne und schafft mit Folienmassen Plastikwelten. In diesen Szenarien präsentiert sie sich dann mit ihrem ganz individuellen Tanzstil. Der ist unverkennbar und wird immer mehr zum Markenzeichen. Die Tänzerin bewegt sich in Kontraktionen, zieht sich zusammen, macht sich zum Strich, vernetzt sich im Raum, Beine und Arme gewinnen dabei an einer Länge, die über das Natürliche hinaus zu gehen scheint. Etwas Salzmann-Typisches. So auch in „still afraid“. Neu an dieser Produktion ist das Team. In Bezug auf das Konzept-Thema Angst wählt Silvia Salzmann eine Zusammenarbeit mit anderen, ihr noch nicht vertrauten KünstlerInnen. Was das Kernteam jedoch eint, das ist die Herkunft aus Vorarlberg.

Kampf und Halt


Thomas Geismayr kommt aus dem urbanen Tanz, genauer gesagt aus der Richtung Breakdance und Hip Hop. Er sei Autodidakt und habe vor achtzehn Jahren damit in einem Jugendzentrum im TIK Dornbirn begonnen, erzählt er. Schön, wie sich die Kreise schließen, auch „still afraid“ wird im Januar im TIK aufgeführt. Der studierte Sozialarbeiter, der in seiner Diplomarbeit die Hip Hop Kultur als Chance für die offene Jugendarbeit thematisierte, hat das Interesse, den urbanen Tanz in Österreich als Bühnentanzform zu etablieren. Und diese Motivation ist spürbar, sobald Geismayr die Bühne betritt. Er präsentiert seine Moves sowohl ruhig und bedächtig als auch schnell und dynamisch und schafft dem Publikum eine neue Sichtweise auf einen Tanzstil, den man vorwiegend in rasant dargebotener Art auf der Straße sieht. Thomas Geismayr verfügt über eine hervorragende Körperbeherrschung und eine klare Bühnenpräsenz. Ob im Solo oder im Duett mit Silvia Salzmann, er stellt seine Ausdrucksform in Verbindung mit dem Thema Angst überzeugend dar. Wenn Salzmann sich an ihn heftet, ihn anspringt, umklammert und ihn zu Boden zu ziehen versucht, dann steht Geismayr wie ein Fels in der Brandung. Die zwei TänzerInnen ergänzen sich gut. Sowohl die kämpferischen Szenen als auch die sanften und haltgebenden Sequenzen bilden einen gemeinsamen Rhythmus des Abends.

Die Projektion als bewegendes Element


Sarah Mistura arrangiert in diese Soli und Duette gleich zwei Projektionen. Sie legt sie in einem Winkel des Raumes an, somit liegen sich die Projektionen diagonal gegenüber. Auf der kleineren werden lediglich Texte eingeblendet, die aus Interviews herausgenommen und zusammengestellt wurden. Auf der großen Projektion werden Bilder, Videos und ebenfalls Texte und Zitate gezeigt. Ohne Projektion, aber mit dem Licht des Beamers, wirkt die Wand wie ein großes Fenster, vor dem sich die TänzerInnen einen Ausweg aus dem Angst-Dilemma zu suchen scheinen. Auch Sarah Misturas künstlerische Leidenschaften werden deutlich, sie möchte die Medienwelt mit darstellenden Künsten verbinden. Das schafft sie scheinbar mühelos. Ihre farblich wechselnden Einspielungen sind auf ganz eigene Art und Weise bewegt, stehen aber nie in Konkurrenz zum Tanz, sondern fügen sich sehr organisch ein. Nicht, dass sie das Publikum schonen würden. Zusammen mit dem Sound – live und kraktvoll dargeboten vom Vorarlberger Schlagzeuger Marcel Holzer und dem Sänger Florian Koller – prasselt es audio-visuell auf das Publikum ein. Aufgefangen werden die Eindrücke vom Spiel und Tanz. Und auch umgekehrt funktioniert dies. Sobald die beiden TänzerInnen sich den Raum fast martialisch erobern, wird Musik und Video leise und unterstützend. Nicht zuletzt die projizierten DarstellerInnen, Hilde Greif und Myron Olev, lassen das Stück fein und poetisch werden. Sarah Mistura schafft es, die ältere Dame und den zwölfjährigen Jungen über den Bildschirm in das Stelldichein der Künste rund um die Angst eintreten zu lassen.

Der Umgang mit großen Themen


Keine Frage, „still afraid“ ist ein Kunstkonzept, das aufgeht. Die KünstlerInnen überzeugen mit ihrer Arbeit und es ist offensichtlich, wie viel Recherche, Aufwand, Ideenreichtum, Professionalität und auch Freude dahinter steckt. Bezogen auf das große Thema Angst fehlte jedoch hier und da ein Bezug. Vielleicht lag es daran, dass man nicht gewohnt ist, offen mit der Thematik umzugehen. Vielleicht hätten die KünstlerInnen mit der Entscheidung für einen bestimmten Angst-Aspekt dem Publikum aber auch noch einiges näher bringen können. So bleibt die Suche nach etwas übrig, viele Fragen bahnen sich ihren Weg. Möglicherweise hat Silvia Salzmann genau das damit bezweckt.

 

Weitere Termine:
17. Oktober 2015, 20 Uhr in der Alten Seifenfabrik Lauterach
23. und 24. Januar 2016 im TIK Dornbirn