Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Mirjam Steinbock · 23. Mai 2016 · Tanz

Morphing II - Im Bregenzer Theater Kosmos verwandeln das Jazzorchester Vorarlberg unter der Leitung von Martin Eberle, die Tänzerin Silvia Salzmann und der Komponist Clemens Wenger Musik und Tanz zu einem Resonanzkörper

Es ist erfrischend und mitreißend zugleich, wenn KünstlerInnen der freien Musik- und Tanzszene Vorarlbergs sich kennenlernen, künstlerisch neugierig aufeinander werden und ein gemeinsames Projekt starten. So geschehen beim Jazzorchester Vorarlberg und drei Vorarlberger Tänzerinnen während einer Produktion der Bregenzer Festspiele. Zwei Jahre später und mit dem Engagement eines ebenfalls begeisterten Komponisten mündet die Idee in „Morphing II“, einer Wandlung von Musik und Tanz, Akustik und Elektronik, Big-Band und Performance.

Gänsehaut-Faktor

 

Vor allem der erste Teil des rund eineinhalb Stunden dauernden Tanz-Konzerts überzeugt mit guten Ideen und frischen Impulsen. Es zieht einem die Gänsehaut auf, wenn drei TänzerInnen und zwölf Vollblut-Musiker gleichzeitig und mit Spielfreude loslegen – dirigiert von einem Komponisten, der die insgesamt zwölf Stücke zum Teil per Mausklick am Computer startet und dem die Lust am Tun ins Gesicht geschrieben ist. Mit viel Schwung startet das musikalische Ensemble und legt ein Tempo vor, das einen mitten ins Geschehen zieht. Der zeitgenössische Tanz bleibt abstrakt und doch entstehen Bilder und Stimmungen. Die oft an Film-Musik erinnernden Kompositionen lassen die Tänzerinnen Silvia Salzmann und Carmen Pratzner manchmal zu Diven aus einem Zwanziger Jahre-Film werden, während Thomas Geismayr wie ein schlaksiger Swing-Tänzer Arme und Beine in die Luft wirft und das Theater zu einem glanzvollen Ballroom macht.

Organische Verschmelzung

 

Schließt man die Augen, hört man den Unterschied zwischen elektronischem und akustischem Sound kaum bis gar nicht. Elektronische Töne vermengen sich erstaunlich organisch mit der Live-Musik, die sich aus Trompete, Posaune, Saxophon, Horn, Klarinette, Keyboard, Gitarre und Schlagzeug speist. In welcher Vielfalt sich die Musik hier auffächert gleicht einem Sinnesrausch für die Ohren. Den Augen bietet sich ein Tanz dar, der dazu animiert, eigene Bilder zu kreieren. Er ist rhythmisch eng verknüpft mit dem Beat des Schlagwerks, den fein abgestimmten Melodien aus Tasten und Saiten sowie den klaren bis verführerischen Aussagen aus den Mundstücken der Bläser.

Zeit zum Atmen geben

 

Silvia Salzmann verantwortet die Choreographie, eine schwer zu bewerkstelligende Doppelaufgabe, da sie als Tänzerin auch Teil des Bühnengeschehens ist. Ihre Ideen für die Tanzszenen sind originell und im Ansatz gelingen sie auch. Allerdings fehlt es ihnen oft an Tiefe im Sinne einer konsequenten Ausarbeitung. Das Orchester, das immerhin die Erfahrung eines zehnjährigen Bestehens im Rücken hat, nimmt sich dagegen seinen Raum, variiert mit dem Tempo, setzt Kontrapunkte und schöpft den Anfang wie das Ende des musikalischen Themas bewusst aus und gibt ihm Zeit zum Atmen. Dem Tanz fehlt dies. Die Auf- und auch Abgänge der Szenen erfolgen oft in derselben Dynamik und scheinen stets gut abgestimmt zu den musikalischen Stichworten. Das wirkt mit der Zeit brav. Auch wenn sich die Tanzenden gut auf den Drive des Orchesters einlassen, wären eine andere Dynamik und Mut zur Gegenbewegung von erfrischender Wirkung. Und dies würde beide Kunstarten in ihrer jeweiligen Stärke zeigen.

Hohe Präsenz

 

Dass die KünstlerInnen dieses Abends allesamt über Können verfügen und äußerst präsent sind, steht außer Frage. Sie dürfen dem Publikum aber auch etwas zumuten, denn wenn es sich auf ein Projekt wie dieses einlässt, scheint der Anspruch nach optischer wie akustischer Forderung linear mitzuwachsen. Da reicht es nicht mehr aus, wenn eine Bar-Szene – nach einem Text von Kristin Gruber und wunderbar von ihr selbst eingesprochen – szenisch passend mitgetanzt wird. In dem Moment wird offensichtlich, dass die Kunstsparten Tanz und Schauspiel verschiedene sind und der Wechsel von der einen in die andere hier nicht aufgeht. Aber auch im musikalischen Bereich hätten eine straffere Dramaturgie des Abends sowie ein paar Moment der Stille gut getan. Zur Entfaltung so mannigfaltiger Klang- und Körperausdruck-Landschaften in der Umgebung eines beeindruckenden Lichtkonzepts hätte dies sicher beigetragen.

Die Notwendigkeit von Projekten dieser Art

 

Laut Aussage des Komponisten soll es weiter gehen mit „Morphing II“. Zeit und Ort sind noch nicht definiert, aber es ist den Initiatoren zu wünschen, in einem gemeinsamen Prozess mit Aufführungsmöglichkeiten bleiben zu können. Ein Projekt wie dieses braucht sowohl die Kunstszene als auch das Land, sowie die ganze im Wandel stehende Gesellschaft. Zum Reiben, Nachahmen, Lernen und Wachsen. Und auch als Anlass, um im Dialog zu bleiben. Oder wie es Clemens Wenger zum Schluss des Konzerts so schön sagte: „Es ist wichtig, dass gesprochen wird.“