Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Mirjam Steinbock · 20. Mär 2018 · Tanz

Im nebulösen Reich zwischen Leben und Tod – Die imPerfect Dancers Company präsentiert „Hamlet“ beim Bregenzer Frühling

Leben, lieben, leiden und am Ende im verzweifelten Kampf sterben. William Shakespeare schrieb sein Drama „Hamlet“ mit all jenen Zutaten, die einer Tragödie ihre Daseinsberechtigung geben. Es wird gemordet, intrigiert, geliebt und spioniert und viel erwartet wird auch, vor allem eine uneingeschränkte Loyalität zur Familie. Auch wenn diese über den eigenen Tod hinausgehen sollte. Die imPerfect Dancers Company hält sich in ihrer choreographischen Interpretation eng an das literarische Werk. Die sieben Tänzerinnen und Tänzer verzichten komplett auf das gesprochene Wort und erzählen stattdessen mit exzellenter Körpersprache. Sie überzeugten das Publikum vergangenen Samstag beim Bregenzer Frühling mit einer bildgewaltigen und hochemotionalen Vorstellung.

Die beiden Leiter der in Pisa ansässigen Kompanie, Walter Matteini und Ina Broeckx, trafen für ihre künstlerische Auseinandersetzung mit dem Stück eine Entscheidung. Sie thematisieren die Formen des Wahnsinns als Ausgangssituation für ihren "Hamlet" und erzählen das Drama aus Sicht einer psychisch labilen Frau, die ihr Dasein in einer Nervenklinik fristet. Einzig in der Lektüre findet sie Halt. Als sie das Werk „Hamlet“ entdeckt, taucht sie ein in die Geschichte und identifiziert sich mit Ophelia. Die Grenzen zwischen ihrer eigenen Realität und dem schicksalhaften Verlauf im dänischen Königshaus verschwimmen zusehends. Die Frau, eindrücklich verkörpert von Giulia Spinelli, zeigt sich anfangs eingeschränkt in ihren Bewegungen. Das äußere wie innere Gefangensein begrenzt ihren Handlungsspielraum. Durch Ophelia, in deren Figur sie mit der Zeit in vollkommener Synchronität eintaucht, ändert sich ihre Haltung.

Ihre Lektüre und das Handlungsgeschehen finden parallel statt. Die Frau begibt sich anfangs immer wieder an eine große Wand, an der aufgeschlagene Bücher angebracht sind und reibt sich hingebungsvoll an den lose flatternden Seiten, während Hamlet unter dem Druck des Rache fordernden Geistes seine toten Vaters nach dem Leben seines Onkels trachtet. Unterstützt wird die Parallelität der aktuellen und historischen Zeitebene durch ein gut durchdachtes Bühnenbild, für das Ina Broeckx verantwortlich zeichnet. Neben der Bücherwand setzt sie ein weiteres Wand-Element ein, das den Hintergrund für das Spiel der Charaktere rund um Hamlet bildet. In einem anspruchsvollen Lichtkonzept von Bruno Ciulli changiert dieses von der Oberflächenstruktur eines kalten Metalls bis zu glänzend schimmerndem Samt.

Im Zwischenraum von Sein zu Nichtsein

Gegensätze und Pole sind in diesem Stücks allgegenwärtig. Ob Licht oder Bühnendesign, Tanzstil, Requisit oder Kostüm, die Welten, die Dies- und Jenseits darstellen, wechseln elegant und zum Teil mystisch. Der Nebel, der sich in Schwaden im Raum auflöst und bis zu dem an der Decke hängenden roten Totenschädel aufsteigt präsentiert permanent den Zwischenraum vom Sein zum Nichtsein. Deutlich macht das auch der Geist des alten Königs, der die Bühne immer wieder durch- und umschreitet. Und dann sind da noch die wunderbaren Kompositionen von Ezio Bosso, Philip Glass, Max Richter und Arvo Pärt, die in fließenden Übergängen von klassischer Musik zu minimalistisch-zeitgemäßen Sounds die Handlung begleiten.

Mittendrin die um Leib und Seele tanzenden Charaktere, die von einer tiefen Melancholie gesteuert scheinen – unfähig, sich aus ihren Schicksalen zu befreien. Die Farben Rot und Schwarz dominieren das Stück, sei es in Form von Kronen oder als Material der Kleidung, die die Vorarlberger Modedesigner Weber + Weber den TänzerInnen auf den Leib schneiderten. Gefertigt wurde komplett in Loden, der trotz seiner leichten Webetextur die Schwere des Handlungsstoffs authentisch vermittelte und während der sagenhaften Tanzsprache des Ensembles mit Sprüngen, Spagaten und vielen Bodenelementen seine Form hielt.

Grandioses Repertoire

Die Kompanie bot eine grandiose Vorstellung. Sie verfügt über ein großes Repertoire, das von neoklassischen über zeitgenössische und akrobatische Tanztechniken reicht. Vor allem Stefano Neri (Laertes) und Sigurd Kirkerud Roness (König Claudius) schienen über die Bühne zu fliegen. Alicia Navas Otero (Ophelia) begeisterte mit ihrer kraftvollen Energie und zeigte sich im Duo mit Daniel Flores Pardo (Hamlet) gleichzeitig zart und zerbrechlich. Julio Cesar Quitanilla (Geist alter König Hamlet) überzeugte vor allem durch sein mimisches Spiel und die hohe Bühnenpräsenz als Initiator der Ereignisse. Ina Broeckx als Königin Gertrud drückte ihre innere Zerissenheit als Mutter, Witwe und neuer Frau des Mörders ihres Mannes so schmerzerfüllt aus, dass ihr das Publikum am Ende einen extra lauten Applaus schenkte.

Aber auch wenn der Ansatz der imPerfect Dancers Company, den „Hamlet“ aus Sicht einer labilen Frau der Jetztzeit erzählen zu lassen, ein origineller ist, hätte die Inszenierung durchaus einen „Drive“ im Sinne einer zeitgemäßen Interpretation vertragen. Es ist nicht ganz klar, welche Aussage die künstlerische Leitung trifft, wenn die Frau in der Klinik sich die Figur Ophelia geradezu einverleibt und zu einer Kopie des dramatischen Charakters wird. Und auch wenn sie gemeinsam mit Ophelia das Leiden weinend beklagt, bleibt die Frau in der Weltliteratur in ihrer Opferhaltung letztlich gefangen und der ohnehin schon schwere Stoff der Tragödie ist nochmals gedoppelt. Zum Schluss bleibt dennoch eine große Zufriedenheit angesichts des hohen physischen und ästhetischen Anspruchs dieses Stücks.