Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Peter Füssl · 18. Mär 2017 · Tanz

„Fla.Co.Men“ was here! – Israel Galván eröffnete den „Bregenzer Frühling“ 2017

Als Israel Galván de los Reyes 1973 als Spross eines hochkarätigen Flamenco-Paares in Sevilla das Licht der Welt erblickte, ahnte wahrscheinlich niemand, dass ausgerechnet er es sein würde, der den Flamenco um die Jahrtausendwende auf eine völlig neue Schiene stellen wird. Sein Ruf als experimentierfreudiger Tänzer und Chorgeograph, ja als Revolutionär wuchs mit jeder Produktion: Von seinem Erstling „Mira Los Zapatas Rojos“ über „Metamorphosis“, einer Flamenco-Adaption von Kafkas „Verwandlung“, bis zum hochpolitischen „Lo Real“, das anhand einer Geschichte um Leni Riefensthals Umgang mit den Gitanos das Schicksal dieser Menschen unter den Nazis mit den Mitteln des Tanzes beleuchtete. Mit seinem 2014 uraufgeführten „Fla.Co.Men“ dekonstruiert Israel Galván nun den Flamenco völlig, ohne freilich wirklich von ihm loszukommen.

... alles, nur kein traditioneller Flamenco

Den Auftakt bestreitet Galván in einer weißen Schürze, wie sie Küchenbedienstete oder Metzger tragen, 90 Minuten später wird er den fulminanten Abend in einem weißen, geblümten, bodenlangen Flamencokleid beenden. Dazwischen konfrontiert er das Publikum mit einer Vielzahl an skurrilen Einfällen, gewagten Experimenten, außergewöhnlichen Klang-Tanz-Kombinationen, rhythmischen Eskapaden, mit Tief-, Hinter- und Vordergründigem, eigentlich mit allem, nur nicht mit traditionellem Flamenco. Galván könnte auch nach einem genauen „Drehbuch“ vorgehen, wie er in einer witzigen Sequenz am Anfang klarmacht - im Schnellgang haspelt er ein paar Kapitel herunter, aber das wird ihm bald zu langweilig und schon wirbeln die Seiten durch die Luft. Dieses Stück braucht keine durchgängige Handlung, es ist tatsächlich ein bunter Wirbel aus musikalischen und tänzerischen Fragmenten – Fla.Co.Mens ganz persönlicher, getanzter, getrommelter, geklatschter und gesungener stream of consciousness. Er spielt mit Klischées und mit dem Spiel mit Klischées, dekonstruiert, ohne zu zerstören, legt frei, ohne bloßzustellen. Denn trotz aller Ver- und Entrücktheiten ist jede Sekunde klar: Israel Galván liebt den Flamenco!

Eigentlich ist es ja ein Konzert ...

... ist auf Galváns Homepage zu lesen. In der Tat haben auch Eloísa Cantón an Geige und E-Bass, Emilio Caracafé Proyecto Lorca an der Gitarre, Juan M. Jiménez an Saxophon und Gaita del Gastor (einer traditionellen Hornpfeife), Antonio Moreno an Kesselpauke, Cajón sowie Marimba und die beiden Flamenco-Sänger David Lagos und Tomás de Perrate weit mehr als begleitende Funktionen. Sie steuern ebenso tänzerische und schauspielerische Elemente bei, wie sich Israel Galván an der großen Basstrommel auf zumeist spektakuläre Weise ins musikalische Geschehen einbringt, wenn er seine Rhythmen nicht gerade in tackenden Flamencoschuhen oder bloßfüßig auf verschiedenen Schallkörpern bis hin zu einem kleinen mit Münzen gefüllten Kasten hervortanzt. Das hat Witz, das hat Charme und sein Bewegungsvokabular, das weit über den klassischen Flamenco hinausreicht, ist von einer ungemeinen Ausdruckskraft. Da versteht es sich von selbst, dass die Musik oftmals freien Jazzimprovisationen oder zeitgenössischen Tönen näher zu sein scheint als traditionellen Klängen. Die Grenzen brechen in alle Richtungen auf.

Sehnsucht nach intimerer Atmosphäre

Dass fast überall zu lesen ist, „Fla.Co.Men“ eigne sich auch für große Häuser, lässt darauf schließen, dass sich zumindest jeder einmal Gedanken darüber gemacht hat und es erwähnenswert findet. In der Tat ist Israel Galván ein Phänomen, das über die Ausstrahlung verfügt, auch große Zuschauermassen in seinen Bann zu ziehen. Und er müht sich auch eineinhalb Stunden lang redlich ab, die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum verschwinden zu lassen, bewegt sich öfters durch die Sitzreihen und klatscht seinen Rhythmus einem Zuschauer in der ersten Reihe auf die Hand. Dennoch gelingt es Galván erst ganz zum Schluss im Flamenco-Kleid, die Burleske im knallroten Slip auf die Spitze treibend, das Publikum wirklich aus der Reserve zu locken und zu Begeisterungsstürmen hinzureißen. Man stelle sich vor, dieser Produktion nicht in einem auf mehr als 1600 Zuschauer fassenden Saal, sondern im intimeren Rahmen eines kleinen Kultursaales, oder noch besser in einem klassischen Flamencolokal beiwohnen zu dürfen – das wäre kein toller Tanzabend, sondern eine unvergessliche Orgie geworden!