Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 28. Mai 2017 · Tanz

Eine zeitlose Geschichte, aus einer anderen Perspektive erzählt – die Akram Khan Company begeistert mit „Until the Lions“

Der aus London stammende Choreograph und Tänzer Akram Khan hat bereits vor drei Jahren das Publikum des „Bregenzer Frühlings“ mit seinem autobiographisch gefärbten Solostück „Desh“, in dem er seinen Wurzeln in Bangladesch nachspürt, total verzaubert. Nun begeisterte er im Festspielhaus mit seiner von der internationalen Kritik bejubelten, auf das altindische Versepos „Mahabharata“ zurückgehenden Produktion „Until The Lions“.

Eine uralte Geschichte aus anderer Sicht erzählt

 

Akram Khan nimmt aus dem vielschichtigen, mit zahllosen Figuren bevölkerten, 100.000 Doppelverse umfassenden Werk eine einzelne Frauengestalt heraus und erzählt die Geschichte der Prinzessin Amba. Sie wird vom Krieger Bhishma entführt, der sie mit seinem Stiefbruder vermählen will. Als der aber erfährt, dass sie bereits einem anderen versprochen ist, will er sie nicht mehr haben und bringt Amba zurück. Da nun aber Zweifel an ihrer Jungfräulichkeit bestehen, wird Amba auch von ihrem Bräutigam und ihrer Familie verstoßen und landet völlig unverschuldet im gesellschaftlichen Aus. Akram Khan hat bereits als 13-Jähriger in der berühmten, neun Stunden dauernden Version der „Mahabharata“ von Peter Brooks mitgewirkt und war zwei Jahre damit auf Tournee. So wird diese Produktion nochmals zusätzlich zu einer Art „Back to the roots“, wobei Khan Ambas Geschichte aber in Anlehnung an das Buch „Until the Lions: Echoes from the Mahabharata“ der indischen Schriftstellerin Karthika Naïr nicht aus männlicher Sicht, sondern aus der Sicht der Frauen erzählt. Denn der von ihr gewählte Buchtitel geht auf ein afrikanisches Sprichwort zurück, das besagt, dass die Jäger nur so lange als Helden gelten, bis die Löwen ihre eigene Geschichte von der Jagd erzählen können. Ersetzt man „Jäger“ durch „Männer“ und „Löwen“ durch „Frauen“, kommt man Akram Khans Vorstellungen schon sehr nahe. Schließlich stirbt Amba und rächt sich in ihrer männlichen Reinkarnation als Krieger Shikhandi grausam an ihrem Entführer.

Grandiose Mixture aus Khatak & zeitgenössischem westlichem Tanz

 

Diese Hintergründe zu kennen, bietet natürlich eine zusätzliche Erfahrungsebene und potenziert das Vergnügen. „Until the Lions“ ist aber auch ganz ohne Hintergrundwissen ein überwältigend kraftvolles Tanzstück, geprägt von einer mystischen, oftmals archaisch wirkenden Schönheit. Bilder von wilder Gewalt und Unterwerfung, Zurückweisung, Aggression und Rache lösen ebenso starke Emotionen aus wie Impressionen von großer Zartheit, Sanftmut und nobler Zurückhaltung. Die zarte Taiwanesin Ching-Ying Chien tanzt die Amba, Christine Joy Ritter den kämpferischen Shikhandi, und der von der Insel Java stammende Rianto hat von Akram Khan die Rolle des Bhishma übernommen. Sie verleihen den ProtagonistInnen Charakter und Tiefenschärfe und führen Akram Khans eigenwillige Körper- und Bewegungssprache in perfekter Ausführung zu tänzerischen Höhepunkten. Die für den Kathak typischen, ausdrucksstarken, ritualisierten Elemente, die wirbelnden Drehungen und Sprünge, die ausgefeilte Arbeit mit Armen und Händen werden nahtlos mit Ausdrucksformen des zeitgenössischen Tanzes und akrobatischen Elementen angereichert. Obwohl das Geschehen in einer mythologischen Welt angesiedelt ist und selten direkt, sondern zumeist in abstrahierter Form erzählt wird, verstehen sie es, die Zeitlosigkeit des Stoffes transparent zu machen. Die grausamen Geschichten von Frauen, die im Indien der Gegenwart zu Opfern brutaler Übergriffe von Männern werden, fallen einem unwillkürlich ein.   

Effektvolles Bühnenbild und perfekte Musik

 

Das von Tim Yip entworfene karge, aber umso effektvollere Bühnenbild ähnelt einer Scheibe aus einem überdimensionierten, quer durchgeschnittenen, runden Baumstamm mit Jahresringen und Rissen, gespickt mit langen Bambusstangen, die wahlweise auch als Speere Verwendung finden. Michael Hulls perfekte, ebenfalls auf gekonnte Reduktion setzende Lichtinszenierung sorgt für die stets passende Atmosphäre. Von überragender Bedeutung ist aber Vincenzo Lamagnas kraftvoller Soundtrack, der von einigen Gitarrenpassagen und etwas Elektronik abgesehen vor allem auf wirbelnder Perkussion und mitreißendem Gesang aufbaut. Energiegeladen peitschen drei Musiker und eine Musikerin neben der Bühnendrehscheibe sitzend oder stehend die Handlung voran und verstärken auf ideale Weise die visuellen Eindrücke. So wird „Until the Lions“ auch noch zu einem Fest für die Ohren und zu einem verschiedenste Sinne aktivierenden Wechselbad aus Emotionen. Ganz großes Tanztheater!

 

Das Finale des "Bregenzer Frühlings" 2017:
aktionstheater ensemble: "Ich glaube"
Uraufführung
Regie/Konzept: Martin Gruber
Dramaturgie: Martin Ojster
Text: Martin Gruber und Ensemble
Musik: Kristian Musser
Mit Susanne Brandt, Martin Hemmer, Claudia Kottal, Alex Irmak, Benjamin Vanyek und Live Band
Premiere: 7.6.2017, 20 Uhr
Weitere Aufführungen: 8. und 9.6.2017, 20 Uhr
schoeller2welten shed8, Bregenz
www.bregenzerfruehling.at
www.aktionstheater.at