Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Mirjam Steinbock · 03. Apr 2018 · Tanz

Doppelabend mit Tiefgang – netzwerkTanz präsentierte mit „Sacred Scars“ und „NoBody´s Land“ im Theater KOSMOS zwei Arbeiten des Choreographen Blenard Azizaj

„Sacred Scars“, eine Eigenproduktion von netzwerkTanz anlässlich des 10-jährigen Jubiläums, feierte bereits vor einem halben Jahr in Dornbirn ihre erfolgreiche Erstaufführung. Das von Blenard Azizaj mit sieben regionalen Tanzschaffenden choreographierte Stück gehört ebenso wie das Duo „NoBody´s Land“ zu einem vierteiligen Tanzzyklus. Zum Tourneeauftakt in Bregenz wurden erstmals diese beiden Teile der Tetralogie vor Publikum präsentiert. Und das zeigte sich begeistert.

Der Abend begann mit „NoBody´s Land“, einem rund halbstündigen Stück, das der Choreograph gemeinsam mit seiner Partnerin Maya Gomez entwickelte und tanzte. Es handelt vom Schritt ins Unbekannte und thematisiert Migration, Anpassung, Gemeinschaft und Freiheit - verbunden mit dem Wagnis, sich zu verändern. Wie sich zwei Individuen in ihrer Tanzsprache und aus ihrem jeweiligen Territorium heraus einander nähern, in der Körpersprache imitieren und sich nach heftigen Kämpfen schließlich zu einer neuen Form vereinigen, stellten Maya Gomez und Blenard Azizaj auf zarte und sinnliche, aber auch intensive und bisweilen erschütternde Art und Weise dar.

Atemberaubende Vorstellung 

Im Tanz begegnen sich die Protagonisten aus zwei unterschiedlichen Räumen. In dem einen wird das Zentrum von einem herabhängenden Seil markiert, an dem sich der Tänzer auf dem mit Sägespänen bedeckten Boden ein Feld absteckt. Im anderen Raum, wesentlich kleiner, liegt in einem Heuhaufen die Tänzerin. Beide Personen beginnen die Kommunikation miteinander und spiegeln sich synchron in der Bewegung. Wie ein Sog entwickelt sich zwischen ihnen ein soziales Mit- und Gegeneinander, das sich zu Anfang vorwiegend in geometrischen Richtungen und Diagonalen abspielt und am Schluss in Kreisen endet. Stets gut sichtbar bleiben die Wege der Figuren als Spuren in Späne und Heu. Eine im wahrsten Sinne atemberaubende Vorstellung bieten beide Künstler, die offensichtlich um ihr Leben tanzen, sich in aller Heftigkeit aneinander reiben und in Kraft und Körperspannung miteinander messen. Der gleichwertige, oft martialische Kampf, der schließlich in der Vereinigung beider Körper zu einer neuen Form mündet, wird unterstützt und angetrieben durch die großartige Musik des israelischen Filmkomponisten Ran Bagno. Die Soundteppiche, instrumentalen Einlagen und der Gesang transportieren intensive räumliche Stimmungen, in denen die Tänzer sich in körperlicher Hingabe gegenseitig anziehen und abstoßen. Mit den Materialien Holz und Heu bilden sie zwischen leichten Nebelschwaden um sich herum ständig neue Landschaften, welche sowohl Wüste, Zelle als auch Höhle sein könnten. Tief beeindruckend war die Vorstellung beider Künstler, die unter anderen bei „Sasha Waltz & Guests“ tanzen. Vor allem die von Maya Gomez, die trotz feingliedriger Statur ihrem Partner Azizaj in Präsenz und Stärke in nichts nachstand und deren heftiger Atem bis in den Zuschauerraum drang.

Starkes Vorarlberger Tanzensemble 

Nach einer Pause folgte das zweite Stück des Abends. „Sacred Scars“ handelt von sichtbaren und unsichtbaren Narben, die das Leben mit sich bringt und es maßgeblich beeinflusst. Das Material zum ebenfalls halbstündigen Stück erarbeiteten die sieben Tänzerinnen und Tänzer aus Vorarlberg im vergangenen Jahr auf Basis persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Choreographen gemeinsam. Martin Birnbaumer, Dominik Feistmantl, Natalie Fend, Carolina Fink, Silvia Salzmann, Carmen Pratzner und Verena Wohlrab bilden das Ensemble und fächern in verletzlicher und starker Präsenz in Soli, Duos und in Tanzchören ein Mysterium all jener körperlicher und seelischer Erinnerungen auf, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Die archaische Symbolik Azizajs mit Bezügen zur griechischen Antike sind auch in diesem Stück allgegenwärtig. Von lebenserhaltenden Handlungen wie dem Holzhacken bis zu kultischen Vorgängen wie der rituellen Reinigung in einem alten Waschzuber navigiert der Choreograph sein Tanzensemble durch ein Stück, das in seiner passionierten Aussage, in Ausstattung, Kostümwahl und der Musik von Stavros Gasparatos gar nicht besser zur Ostergeschichte hätte passen können. Tatsächlich trieft es geradezu vor Pathos, wenn zwei Tänzer, auf einem schweren Stoff stehend, auf die Bühne gezogen werden und in Haltung und Ausdruck griechischen Statuen ähneln. Oder wenn eine Tänzerin wie von einem antiken Streitwagen aus vier weitere TänzerInnen an roten Bändern durch den Raum dirigiert. Dass dieser Pathos nicht in Kitsch abdriftet, ist der feinen Choreographie des aus Albanien stammenden Künstlers und dem Tanzensemble zu verdanken, das mit unprätentiöser Darstellungskraft durch das Stück trägt, nie aufdringlich wirkt und noch genügend Spielraum für eigene Interpretationen lässt.

Tournee nach Berlin und St. Gallen 

„Sacred Scars“ wieder aufzunehmen und es touren zu lassen, ist eine gute Entscheidung vom Verein netzwerkTanz. Das für die TänzerInnen physisch wie mental herausfordernde Stück, das im letzten Jahr in nur zehn Tagen erarbeitet und lediglich ein Mal aufgeführt wurde, hat durch die erneuten Proben enorm an Klarheit gewonnen. Ich hatte den Eindruck, am Premierenabend auch eine gewisse Spielfreude beim Ensemble zu entdecken, was dem durchaus schweren Stoff eine wohltuende Leichtigkeit gab. Das Publikum im komplett ausverkauften Theater dankte für beide Vorstellungen mit lang anhaltendem Applaus – ein so bestätigender wie motivierender Startschuss in die Tourneereise nach Berlin und St. Gallen. Abzuwarten bleibt hingegen, wann alle vier Teile der von Blenard Azizaj autobiographisch geprägten Tetralogie „Nomás“ gemeinsam zu sehen sein werden.

Weitere Infos zur Tour auf www.netzwerktanz.at