Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Mirjam Steinbock · 17. Jän 2017 · Tanz

Der umgedrehte Spieß – Das Tanz- und Theaterstück „Die hohe Kunst des Wegschauens“ im TAK Theater in Schaan

Was wäre, wenn Liechtenstein mit Dürrekatastrophen zu kämpfen hätte, nicht mehr im Wohlstand leben würde und Flucht auf einen reicheren Kontinent der einzige Ausweg wäre? Der Verein Daburu(T) wagt mit seinem aktuellen Stück einen Blick in diese Utopie und lotet ein „Was-wäre-wenn-Szenario“ aus. Hervorragend gelingt dies in der Umsetzung, denn Regisseur Hanspeter Horner und Choreografin Jacqueline Beck wissen, wie Theater und Tanz inszeniert gehören und das Ensemble vermag das in feinster Qualität umzusetzen. Doch die angekündigte futuristische Fiktion verliert ihren tollen Ansatz in der bloßen Versetzung des Schauplatzes von Europa nach Afrika. Das Potential, Gewagtes weiterzudenken, bleibt unausgeschöpft.

Dabei legt die Vorstellung einen so wunderbaren Start hin: Eine Liechtensteinerin sitzt mit ihren zwei jugendlichen Kindern abends in der Küche. Der Fernseher mit den Nachrichten läuft im Hintergrund, die Kinder sind kurz vor dem Zubettgehen und die Frau bereitet sich darauf vor, ihren Text zu lernen. Sie spielt die Medea in einem Theaterstück und erzählt ihren Kindern, was es mit der Königstochter aus der griechischen Mythologie auf sich hat. Eine Flüchtende, die nirgends wirklich zuhause und schon gar nicht willkommen war und sich grausam an denjenigen rächte, die sie betrogen. Mit dem Zubettgehen der Kinder ändert sich die Szenerie schlagartig. Der Frau wird von drei Unbekannten in grauen Anzügen Wasser über den Kopf geschüttet, Tisch und Stühle werden entfernt, sie befindet sich nicht mehr in ihrer Küche sondern auf der Flucht. Sie erzählt, welche Reiseroute sie nimmt, wie unendlich lang sie unterwegs ist, wie viel Geld die Flucht kostet und wie viel Leid sie durchlebt bis sie schließlich im heilsversprechenden Afrika ankommt, das ihr zuerst die beiden Kinder entreißt. Lediglich mit ihrem Smartphone ausgestattet, bemüht sie sich um Asyl und erfährt eine würdelose Behandlung durch die Mitarbeiter des Einwanderungsamts. Sie muss sich allein durchschlagen, immer auf der Suche nach ihren Kindern und im Ringen um Aufenthaltsbewilligung in absurden Verfahren.

Universelle Körpersprache

Die Liechtensteinerin wird von Katja Langenbahn dargestellt und sie spielt sie souverän, leidenschaftlich und zu Herzen gehend. Die erfahrene Schauspielerin versteht ihr Handwerk und schaut selbst mit begossenen Haaren noch würdevoll aus. Bei Ankunft in Afrika wird ihr anonym aus dem Off ein Sammelsurium an Kleidungsstücken angeboten und sie streift sich diese wie eine neue Identität über den Körper. Verschiedene Codes, sichtbar gemacht durch körperliche Gesten, werden in diesem Stück genau aufs Korn genommen. Die Zurückweisung der Liechtensteinerin durch die Beamten, in Haltung und Gestik überzeugend dargestellt von Faizal Ddamba Mostrixx und Bradley Luwelin Zeelie, bedarf nicht eines verbalen Sprachverständnisses, obwohl sie unentwegt auf die europäische Frau einreden. Hier wird klar, dass es eine universelle Körpersprache gibt, die präziser und verletzender nicht sein könnte. Da hilft der Liechtensteinerin auch nicht, dass die eine Beamtin (Cecilia Kukua Boagyam) auf deutsch übersetzt und die andere (Yukie Koji) großzügig ihr Lächeln verschenkt.

Bewegende Resonanz

Die geringschätzende Behandlung gegenüber der Asylsuchenden wird noch deutlicher durch die Positionierung des Ensembles auf der Bühne. Sehr einfallsreich gehen Horner und Beck mit dem Bühnenbild um, bestehend aus acht Stellwänden, die als Projektionsflächen und Requisiten genutzt werden. Die Darstellenden beziehen diese mit ein, indem sie sie verschieben, hinter ihnen auftauchen, sich zwischen ihnen formieren und so die Bühne zu einem Organ machen, das eine Weltreise antritt und zwischen den Kulturen hin und her geschubst wird. Für bewegende Resonanz sorgen die Tänzerin Yukie Koji und die beiden Tänzer Zeelie und Mostrixx, die gekonnt zwischen zeitgenössischem, klassischem, traditionellen und urbanem Tanz switchen und Grenzen mit Sprüngen und Hebefiguren mühelos zu überwinden scheinen. Der Tanz hat eine gewaltige Kraft und Energie, nicht zuletzt, wenn in japanischem und afrikanischem Gewand performt wird. Aber auch wenn Zeelie und Mostrixx die beiden Schauspielerinnen rhythmisch umgarnen, findet hier kein bewegter Austausch statt.

Reales und virtuelles Geschehen Hand in Hand

Bei den zwischen Tanz und Schauspiel wechselnden Szenen gibt es nicht viel Verbindendes. Die Sparten bleiben zum Großteil für sich und man wendet sich mal der einen und dann wieder der anderen zu. Lediglich Cecilia Kukua Boagyam wechselt gekonnt zwischen Performance und Schauspiel und schafft es, ein paar Brücken zwischen den Künsten zu bauen, die übrigens gleichberechtigt nebeneinander stehen. Hier ist Tanz kein schmückendes Element und Schauspiel erst recht nicht. Das Ensemble gibt alles und auch die Technik tut es. Die Videoprojektionen von Alexander Böhmler und das Lichtdesign von Stefan Marti ermöglichen, dass Reales und virtuelles Geschehen sich die Hand geben. Dass eine projizierte Giraffe über acht in unterschiedlich stehenden Winkeln platzierte Stellwände schreitet und man sich in der Savanne wähnt ist nicht nur technisch grandios. Es ist die treffende Metapher dafür, wie sehr das Leben vom Bildschirm abgelesen statt in die Hand genommen wird. Vielleicht ist es das, was man als Utopie erwartet: Eine handlungsfähige Lösung aus dem Dilemma von weltweiter Migration und dem Auseinanderklaffen der Schere, deren Klingen aus arm und reich bestehen. „Die hohe Kunst des Wegschauens“ gipfelt wortwörtlich in seinem Schluss, wenn die Liechtensteinerin, die über ihrem Text am Küchentisch eingeschlafen ist, morgens von ihren Kindern geweckt wird. Alles nur geträumt heißt es.
Schade eigentlich, dass der Deckel dieser Umkehr-Utopie damit geschlossen wird. Mit dem Happy End geht das Stück nicht ganz so weit unter die Haut. Sollte sich bei manchen Zuschauenden dennoch der Wunsch nach alternativen Handlungsformen ergeben haben und Fiktives weitergedacht werden, hat die Produktion ihren Zweck, Empathie hervorzurufen, dann aber doch erfüllt.


Letzte Vorstellung: Samstag, 21. Januar, 20.09 Uhr im TAK Theater Liechtenstein, Schaan.
www.tak.li