Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 26. Nov 2015 · Tanz

Bregenzer Frühling 2016 - Abgründe der Liebe, atemberaubende Dynamik

Tanzfans warten schon sehnlichst auf die Programmpräsentation des kommenden „Bregenzer Frühlings“, und sie werden auch heuer nicht enttäuscht, denn der Bregenzer Kulturamtsleiter Wolfgang Fetz hat wieder ein Festival zusammengestellt, das sich qualitätsmäßig in der absoluten Top-Liga bewegt und auch in Sachen Abwechslungsreichtum keinerlei Wünsche offen lässt. Einige der Akteure haben in Bregenz schon Großartiges geboten, etwa die Flamenco-Ikone Maria Pagés, der belgische Avantgardist Wim Vandekeybus, die unkonventionelle Kanadierin Marie Chouinard oder das grandiose Les Ballets C de la B, eines der Aushängeschilder des zeitgenössischen Tanzes. Die künstlerische Entwicklung solcher Ausnahme-Künstler und -Kompagnien über Jahre hinweg mitverfolgen zu können, beinhaltet einen ganz besonderen Reiz. Dank Fetz lassen sich aber immer auch spannende Neuentdeckungen machen, heuer präsentiert er erstmals Shen Wei, einen in New York lebenden gebürtigen Chinesen, der fernöstliche Tradition auf spannende Weise mit dem Zeitgeist des Big Apple verbindet. Man braucht nicht die Gabe der Prophetie zu besitzen, um vorherzusagen, dass die Tickets für diese fünf Tanzabende rasch verkauft sein werden, lag der Auslastungsgrad im Festspielhaus in den vergangenen Jahren doch ziemlich konstant bei 100 Prozent. Ein Grund mehr, sich auch heuer wieder den großzügigen Weihnachtsrabatt zunutze zu machen.

Maria Pagés entrümpelt die „Carmen“

 

Peter Füßl: Maria Pagés begeisterte 2012 im Duo mit Sidi Larbi Cherkaoui im Festspielhaus. Nun  wird die „Königin des Flamenco“ ihr Stück „Yo, Carmen“ erstmals in Österreich präsentieren. Sie sucht die Carmen in sich selber und versucht sie von allen üblichen Klischeebildern zu befreien. Ein interessanter Ansatz?

Wolfgang Fetz: Ich denke, es gibt heutzutage nicht sehr viele Möglichkeiten, eine überzeugende Carmen auf die Bühne zu stellen. Es ist unglaublich schwer, den immanenten Klischees dieses Stoffes zu entgehen. Das waren noch Zeiten, als Nietzsche Bizet und dessen „Carmen“ gegen Wagner und die Welt in Position bringen konnte. Wissen Sie, wer Mondrian zerstört hat? Die Radsportler, die durch die Gegend rasen und Leibchen mit Mondrian-Muster tragen! Da sieht man im Museum beim Anblick eines Mondrian plötzlich nur mehr Radsportler. So ist es mit „Carmen“, die Musik fällt schlicht den übermächtigen inhaltlichen Klischees zum Opfer. Bei Pagés verhält sich das anders. Sie entrümpelt das Stück von all diesem dummen Femme-fatale-Ballast, „emanzipiert“ es im besten Sinn des Wortes. Abgesehen davon: Flamenco der ersten Kategorie – ohne Flunkern und Folklore.

Wim Vandekeybus/Ultima Vez – faszinierendes Breitwand-Liebes-Panorama

 

Füßl: Wim Vandekeybus und Ultima Vez gastierten letztes Jahr mit ihrem legendären Avantgarde-Klassiker „What the Body Does Not Remember“ in Bregenz, der durch extreme Schnelligkeit, perfekte Präzision und eine unglaubliche Spannung geprägt ist. Heuer geht es nun um das Thema „Liebe“. Ich nehme an, nicht mehr in diesem rasenden Tempo.

Fetz: Das Stück handelt von der Liebe, vom Wahnsinn, der Raserei und den Abgründen der Liebe, aber auch von jenen Momenten absoluter Intimität, die uns, wie wir wissen, mitunter jeden Preis bezahlen lassen. Der Titel „Speak low if you speak love“ geht auf eine Stelle in Shakespeares „Viel Lärm um Nichts“ zurück. Erich Fried übersetzt sie interessanterweise mit „Sprecht ihr von Liebe, sprecht leise wie Diebe“. Dieser Satz hat – ausgehend von Kurt Weill und dem Lyriker Ogden Nash – übrigens eine ziemliche Karriere in der Jazz- und Popmusik gemacht. Etwa in Interpretationen von Ella Fitzgerald, Frank Sinatra oder Barbara Streisand. Vielen wird der Song aus dem Film „Phoenix“ von Christian Petzold bekannt sein. Dort wird er berührend von Nina Hoss gesungen. Aber ich schweife ab. Vandekeybus jedenfalls macht sich seinen eigenen Reim auf „Speak low ...“ und inszeniert ein faszinierendes Breitwand-Liebes-Panorama, das, um auf Ihre Frage zu antworten, streckenweise von extremer Geschwindigkeit und Körperlichkeit geprägt ist. Vandekeybus eben.

Les Ballets C de la B – Lebensfreude trotz widriger Lebensumstände

 

Füßl: Ebenfalls aus Belgien, nämlich aus Gent, stammt die Kompagnie Les Ballets C de la B, die mit dem levantinischen Tanz „Badke“ zwar an das Grauen des endlosen Nahostkonflikts erinnert, er steht hier aber vor allem und in erster Linie auch für die Überwindung des Schreckens und das Finden einer neuen Energie und Lebensfreude. Eine sehr große und vielschichtige Produktion mit palästinensischen Tänzerinnen und Tänzern, für die dieser Tanz auch eine ganz besondere Symbolkraft hat. Ein dezidiert politisches Stück?

Fetz: Ja und nein. Es kommt darauf an, wie man „politisch“ definiert. Jedenfalls besitzt diese unglaublich vitale Choreografie eine Strahlkraft, die, in diesem Fall Lebensfreude pur, ein Statement gegen Depravation, gegen fürchterliche, erzwungene Lebensumstände darstellt. Das kann man als „politisch“ bezeichnen. Allerdings gibt es immer wieder sehr subtile Einsprengsel, Szenen, die deutlich machen, vor welchem Hintergrund und gegen welche Bedingungen sich diese Lebenslust entfaltet. Die Choreografie ist also bei aller tänzerischen Verve und Kraft, bei aller schönen Vitalität kein „Schönreden“. Das ist wie mit dem Flamenco-Verständnis von Maria Pagés: Der volkstümliche, im nahen Osten sehr verbreitete Dabke – bei C de la B zu Badke verdreht – besitzt eine Substanz der Tradition, die, wenn man sich nicht auf folkloristische Abwege begibt, von wunderbarer Qualität ist.

Shen Wei - Buddhismus trifft auf amerikanischen Minimalismus

 

Füßl: Der in China geborene und in New York lebende Choreograph, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Shen Wei wird in Bregenz überhaupt zum ersten Mal in Österreich auftreten. Er wird mit „Map“ aus dem Jahr 2005 und mit „Folding“ von 2002 zwei ältere Stücke präsentieren. Weshalb haben Sie genau diese Stücke ausgesucht, sind sie besonders repräsentativ für diese Kompagnie?

Fetz: Mit „Shen Wei Dance Arts“ befinden wir uns auf einem völlig anderen Boden – wenn wir den Vergleich zu den bereits erwähnten Produktionen ziehen. Eine Welt, in der sich fernöstliche Traditionsstränge mit zeitgenössischen Geistes- und Tanzsphären zu einem unverwechselbaren und außerordentlichen Ausdrucksprofil verbinden. Sehr verkürzt ausgedrückt könnte man sagen, Buddhismus trifft auf amerikanischen Minimalismus. Das ist, in dieser Allgemeinheit, zwar keine ganz neue Geschichte mehr. Das gibt es, wie wir wissen, spätestens seit den 1960-er Jahren. Die Art, wie Shen Wei arbeitet, ist freilich völlig unverwechselbar. Bei seinem ersten Auftritt in Österreich wollte ich natürlich Choreografien zeigen, die sein Verständnis von Bewegung, von Tanz in einem präzisen Licht zeigen. Deshalb genau diese Auswahl.

Marie Chouinard – Kompromisslosigkeit und atemberaubende Dynmanik

 

Füßl: Die Kanadierin Marie Chouinard hat im Festspielhaus 2011 bereits ihr unkonventionelles Stück „bODY_rEMIX“ gezeigt, in dem sich ein Tanzpaar eineinhalb Stunden mit den unterschiedlichsten Arten von Krücken und Gehgestellen abmüht und aneinandergefesselt oder an Gummibändern tanzt. Alles in einer unglaublichen Präzision und Perfektion und fern jeglichen üblichen Tanzvokabulars. Sind „Soft virtuosity, still humid, on the edge“ und „Henri Michaux: Mouvements“ auch so radikal?

Fetz: „Soft virtuosity ...“ ist tatsächlich ein radikales Stück. Im Unterschied zu „Henri Michaux ...“ schließt es eher an „bOdy rEMix“ an. Es ist von bester Kompromisslosigkeit. Das Michaux-Stück hingegen ist von einer atemberaubenden Dynamik, die man selten findet. Ich habe es vor zwei, drei Jahren zum ersten Mal gesehen und hatte relativ wenig Bezug dazu. Vielleicht aus einer Sentimentalität heraus – ich liebe Michaux, als Schriftsteller und Zeichner, und seine Zeichnungen spielen eine zentrale Rolle in dem Stück – habe ich mir das Ganze nochmals angesehen. Und ich fand es großartig.

aktionstheater ensemble – noch unter Verschluss

 

Füßl: Das aktionstheater ensemble wird unter dem Titel „Jeder gegen jeden“ wieder eine Uraufführung zeigen. Sind schon Details bekannt?

Fetz: Also eigentlich müsste hier an dieser Stelle so etwas wie ein dicker schwarzer Balken erscheinen. Aber das würde aussehen wie eine Zensurschwärzung. Und das möchte ich Martin Gruber bei Gott und allen Heiligen nicht antun. Dennoch bleibt es vorläufig Verschlusssache. Das gehört sich so.

Bregenzer Frühling 2016

11.3. Companía María Pagés: "Yo, Carmen"
1.4. Ultima Vez/Wim Vandekeybus: "Speak low if you speak love ..."
22.4. KVS/Les Ballets C de la B/A.M. Qattan Foundation: "Badke"
29./30.4. aktionstheater ensemble: "Jeder gegen jeden"
7.5. Shen Wei Dance Arts: "Map", "Folding"
28.5. Compagnie Marie Chouinard: "Soft virtuositiy, still humid, on the edge",
"Henri Michaux: Movements"

Festspielhaus Bregenz, 20 Uhr
www.bregenzerfruehling.at

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