Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Peter Füssl · 08. Mai 2011 · Tanz

Babel lustig - Sidi Larbi Cherkaoui präsentiert „sein eigenes Ding“ zum Thema Sprachverwirrung und sorgte für Begeisterungsstürme

Die bekannte biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel bietet natürlich jede Menge Stoff für alle Arten von Tragödien, aber kann man, darf man diese ernsthafte Thematik um die Hybris der Menschheit und deren göttliche Bestrafung durch die Sprachverwirrung und alle daraus resultierenden Probleme auch auf humorvolle Weise abhandeln? Ja, man kann und man darf, vorausgesetzt man verfügt über die genialen Fähigkeiten des Sidi Larbi Cherkaoui. Das Bregenzer Publikum verabschiedete den mit internationalen Preisen überhäuften Choreographen und seine traumhafte Compagnie „Eastman“ jedenfalls mit stehenden Ovationen.

Das Geheimnis des Erfolges liegt sicherlich in der lässigen Coolness, mit der Cherkaoui die verschiedensten Künste, Stile und Welten aufeinander treffen lässt. „Ich begann zu choreographieren und mixte das mit dem und das mit dem und machte mein eigenes Ding und dann sagten die Leute: Das ist zeitgenössischer Tanz, was Du da machst und ich sagte: zeitgenössischer was?“ – so beschreibt Cherkaoui seine Anfänge und seine Grundhaltung, die auch beim mittlerweile 35-jährigen Starchoreographen durchaus noch spürbar ist. Das „Was?“ ist im Fall von „Babel“ eine geniale, weil gleichermaßen witzige wie anspruchsvolle Mischung aus Texten, Tanz, Musik und Bühnenbild. So genial, dass man gar nicht weiß, wo man mit dem Loben anfangen soll.

Stagedesign: große Wirkung mit einfachsten Mitteln

Vielleicht in der Aufzählung von hinten: Die fünf riesigen, aus Stahlrohren zusammengesetzten Quader, die alle unterschiedliche Formate haben, aber über dasselbe Volumen verfügen, wirken auf den ersten Blick vielleicht nicht spektakulär, sind es aber. Denn sie sind ebenso wie die dreizehn TänzerInnen permanent in Bewegung, werden von diesen dauernd zu neuen Landschaften formiert, dienen als überdimensionale Requisiten und scheinen trotz ihres enormen Gewichts ab und zu selbst ein kleines Tänzchen zu wagen. So ein Stahlobjekt kann den Turm von Babel ebenso symbolisieren, wie einen mit Immigranten gefüllten Autobus, eine Gefängniszelle oder einen „Zeittunnel“, durch den ein Akteur von der Gegenwart in die Steinzeit und wieder retour gelangen kann – in dieser Perfektion der Ausführung ist dafür nicht einmal mehr allzu viel Phantasie seitens des Betrachters notwendig. Ein Geniestreich von Antony Gormley, dessen hundert stählerne Betrachterfiguren im Bregenzerwald und in der Arlbergregion an diesem Abend wohl interessiert Richtung Bregenz geblickt haben.

Von Ethno bis HipHop

Auf der Bühne bewegten sich Menschen aus dreizehn Ländern zu den vielgestaltigen Rhythmen, Tönen und Gesängen von sechs Live-Musikern, die im Bühnenhintergrund etwas erhöht und somit gut sichtbar das Geschehen musikalisch kommentierten, untermalten und vorantrieben. Diese zumeist ziemlich rasante, mitunter auch sehr trancige Mischung aus den verschiedensten ethnischen Ingredienzien bis hin zum HipHop wäre mitunter auch als Konzertabend durchgegangen, und sie konterkarierte, was die verbale Kommunikation etwa in chauvinistischen Ergüssen weiszumachen versuchte: Die Vielsprachigkeit und Unterschiedlichkeit der Menschen wirft nicht nur Probleme auf, sondern kann durchaus auch als Bereicherung und belebendes Element erfahren werden.

Tanz, Schauspiel, Akrobatik ... und zugleich Programm

Die Anforderungen, die Sidi Larbi Cherkaoui an seine Compagnie stellt, sind so grenzenlos wie sein Kunstverständnis. Sie haben Tänzer, Schauspieler und Akrobaten in einem zu sein – eine Tänzerin hält einen langen Monolog zum Thema Kommunikation, wird dann zu einer mechanischen Puppe, die auf Knopfdruck funktioniert, mutiert schließlich zu einer Art Luftballon, der aufgeblasen wird und durch die Gegend fliegt, bis die letzte Luft wieder entwichen ist. Nur mal als kleines Beispiel, gleich vom Anfang des Stückes. Und in ihrer Multinationalität und Buntheit sind die Akteure zugleich Programm. Ebenso wie Sidi Larbi Cherkaoui selber, dessen muslimischer Vater Marokkaner ist und dessen katholische Mutter aus Flandern stammt. So werden ernste Themen – wie etwa die schicksalshafte Überprüfung von Immigranten durch die Einwanderungsbehörde – zwar nicht ihrer Ernsthaftigkeit beraubt, aber mit Witz und Ironie abgehandelt. Denn trotz aller Spannungen soll offen bleiben, ob der Turmbau zu Babel nicht vielleicht doch sogar als erfolgreiches Projekt betrachtet werden kann. Man muss nur mit einem wachen Bewusstsein leben, wie die Schlussszene eindrucksvoll zeigt: dort stehen alle Akteure in einer Reihe nebeneinander, die Beine ineinander verhakt. So kann jeder einzelne mit der kleinsten Bewegung in der gesamten Reihe eine Kettenreaktion auslösen. Eine wichtige Botschaft, die wie alle anderen an diesem Abend nicht mit dem Zeigefinger präsentiert wurde, sondern eher im Sinne Dario Fos, der daran glaubt, durch das Lachen Nägel in die Köpfe der Zuschauer treiben zu können.