Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 25. Mai 2015 · Tanz

Ausgeflipptes Finale - Trajal Harrell verunsicherte zum Abschluss des „Bregenzer Frühlings“

Trajal Harrell und seine Kompagnie gehören zu den angesagten Performern am Big Apple, aber – wer hätte das vermutet? – Bregenz ist nicht New York. So verließen zahlreiche Tanzfans im Verlauf der rund zweieinhalbstündigen Aufführung den Saal, eine stumme Missfallensbekundung, wie sie in dieser Deutlichkeit beim „Bregenzer Frühling“ bislang noch nie zu erleben war. Aber lustigerweise passte auch dieser kleinere „Massenexodus“ in das bunte Sammelsurium aus durchgeknallten Ideen und erschien fast wie ein Teil des Konzepts.

Trajal Harrells „Antigone Sr./Twenty Looks or Paris is Burning at the Judson Church“ gibt es in verschiedenen Konfektionsgrößen, die sich jeweils in der Länge und Anzahl der Performer unterscheiden: von (XS) über (S) etc. bis zu (L), das man sich in Bregenz zu Gemüte führen konnte. Ausgangspunkt ist das Gedankenexperiment, die berühmte Antigone-Geschichte aus der griechischen Mythologie mit zwei sehr unterschiedlichen Strömungen der Tanzszene der 1960er Jahre zu kombinieren: einerseits mit dem Voguing, einem Tanzstil der Harlemer Drag-Szene, der sich an den Model-Posen des berühmten Modemagazins „Vogue“ orientierte, und andrerseits mit dem sich in etwa gleichzeitig entwickelnden Postmodernen Tanz der Avantgardisten aus der Judson Memorial Church, die unter anderem postulierten, dass jede Bewegung Teil eines Tanzes und jeder Mensch ein Tänzer sei und somit auch Alltagsbewegungen bühnentauglich machten.

Aneinanderreihung mehr oder weniger schrille Performance-Ideen

 

Gestartet wurde mit dem feierlichen Absingen der Saalhymne des Abends: um sich das von einem Tänzer unbegleitet vorgetragene „Hit Me Baby One More Time“ von Britney Spears anzuhören, mussten sich alle erheben. In der Folge wurde das Publikum mit der Aneinanderreihung mehr oder weniger schriller Performance-Ideen konfrontiert, die sich irgendwo im Spannungsfeld von unorthodoxer Klassikerbearbeitung, ironischer, an der Modewelt aufgemachter Konsumkritik und witziger Publikumsanimationen bewegen. Vom Tänzerischen her am eindrucksvollsten war sicherlich das Voguing am Beginn des Stückes, bei dem die Performer auf ihren „Inseln“ posierten und etwa zu Tori Amos’ „Cornflake Girl“ ihrem expressiven Drang freien Lauf ließen. Skurrile Modeschauen in abenteuerlichen Aufmachungen auf einem angedeuteten Catwalk sorgten ebenfalls für Heiterkeit. Dazwischen gab es lange, zumeist repetitive Spoken Word-Sequenzen, musicalartige Gesangspartien, halsbrecherische Kletteraktionen über die Sitzreihen quer durch das Publikum, eine trashige Antigone-Inszenierung, einen kleinen Ausflug in die fernöstliche Esoterik mit Highsnobiety-Mantra undundund ...

... zwischen hoher Kunst und großer Verarschung

 

Über Trajal Harrells extravagantes Spektakel zwischen hoher Kunst (so die Kritiker und Fans) und großer Verarschung (so jene, die frühzeitig aus dem Saal flüchteten), zwischen kindlich anarchischer Lust und Sophistication, ließe sich trefflich philosophieren. Man kann an dieser schrillen Bilderschau, diesem bunten Happening in Sachen Modewelt, Popkultur, Tanzgeschichte und zeitloser Klassik aber einfach auch seinen Spaß haben – oder eben auch nicht. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten und über Humor wohl auch nicht.