Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Peter Füssl · 08. Jun 2009 · Tanz

„Tanz ist eine extrem politische Kunstform. Mein Körper und mein Frau-Sein auf der Bühne sind ein politisches Statement. “ - Interview mit der Choreographin/Tänzerin Sanna Kekäläinen

Die unkonventionelle Choreographin und Tänzerin Sanna Kekäläinen ist so etwas wie die „Grand Dame“ der zeitgenössischen finnischen Tanzszene. Sie hat seit 1983 mehr als fünfzig Produktionen herausgebracht, die teils für heftige Diskussionen sorgten. Beim tanz ist Festival am Spielboden wird sie ihre Version des berühmten „The Afternoon of a Faun“ von Claude Debussy und „Onni-Bonheur-Happiness“ präsentieren.

Tanz ist Festival-Organisator Günter Marinelli erklärt, Kekäläinen sei „eine absolute Individualistin, die sich von Trends überhaupt nicht in irgendeine Richtung drängen lässt, sie hat eine ganz individuelle künstlerische Sprache entwickelt, sie hat ein unheimlich großes Bewegungsrepertoire und ein unglaubliches tänzerisches Können“. Und Sanna Kekäläinen liebt auch radikale Denkansätze, weil ihrer Meinung nach die KünstlerInnen sehr spezielle Aufgaben und Verpflichtungen in der Gesellschaft wahrnehmen müssen. Hier Ausschnitte aus ein Interview, das in voller Länge in der aktuellen KULTUR-Zeitschrift vom Juni 2009 zuf finden ist. 

„L'après-midi d'un faune“ – Narzissmus als Hauptthema

Beim tanz ist festival werden Sie Ihre Version von Debussys berühmtem „Prélude à l'après-midi d'un faune“, zu dem Vaslav Nijinsky eine wegweisende Interpretation geschaffen hat, aufführen. Was fasziniert Sie an diesem Stück, weshalb haben Sie es sich ausgesucht?
Es war damals ein wirklich revolutionärer Ansatz in der Tanzkunst, das hat mein Interesse geweckt. Für das Wichtigste halte ich aber dieses fabelhafte Gedicht von Stéphane Mallarmé. Ich glaube nicht, dass Nijinskys Interpretation meiner Auslegung nahe kommt, aber das macht es nur interessanter. Und dann natürlich diese schockierende Masturbationsszene des Fauns und dieser Kult, der daraus entstanden ist. Ich habe ziemlich viele Interpretationen von sogenannten „Klassikern“ gemacht, dieses war aber die erste, ich habe es erstmals 1996 aufgeführt und 2006 nochmals auf die Bühne gebracht.
Beziehen Sie sich direkt auf Nijinsky oder steht Ihre Interpretation im Gegensatz zu seiner? Haben Sie das Stück in die Gegenwart transferiert?
Ich bin mir Nijinsky sehr bewusst, aber mein Blickwinkel ist ein sehr zeitgenössischer, der stark auf unser Leben und unsere Welt bezogen ist. Das Thema des Narzissmus stelle ich als Hauptthema heraus, weil das die wichtigste Krankheit unserer Zeit ist. Ich beziehe mich auf Nijinsky, aber nur durch kleine Hinweise, und ich stehe nicht im Gegensatz zu ihm. Es ist nicht so, dass ich mit dem, was er getan hat, nicht einverstanden wäre, aber der große Unterschied zu ihm ist, dass ich eine Frau mittleren Alters bin, die einen jungen Mann spielt ... (lacht) Ich bin also ziemlich weit weg von Nijinsky.
Ja, aber die Zeiten haben sich natürlich auch sehr verändert. Die Masturbationsszene auf die Bühne zu bringen, war sicherlich damals ganz was anderes als heute.
Ja, genau. Das war damals eine Art Weltkatastrophe, und wenn man es heute sieht, wirkt es sehr sauber und gepflegt konstruiert. Aber ich denke, dass genau diese sich über 100 Jahre erstreckende Verbindungslinie das Interessante daran ist, das spricht mich an. Ich trage dieses Stück schon seit 13 Jahren mit mir herum, es ist mir sehr wichtig.

„Onni-Bonheur-Happiness“ – Kritik an unserer Lebensart

Sie werden auch den ersten Teil Ihrer neuesten Produktion „Onni-Bonheur-Happiness“ zeigen. Warum haben Sie Glück und Zufriedenheit als Thema gewählt? Das öffentliche Interesse, vor allem der Massenmedien, konzentriert sich doch auf Unglück, Leid und Katastrophen.
Ja, das ist wahr, aber das ist nicht mein Thema. Mein Beweggrund war die Frage, ob Glücklichsein nicht das wichtigste menschliche Bedürfnis ist. Es ist wirklich schockierend und beunruhigend, wie unfair es heutzutage in unserer Welt zugeht, was wir uns antun. Das Glück ist sehr ungleich verteilt auf dieser Welt. In unserer westlichen Gesellschaft haben wir das Glück zerstört wegen dieser furchtbaren Gier, wegen des schnellen Konsums, der nach immer mehr und mehr und das schneller und schneller verlangt. Es ist tragisch, wie erbarmungslos wir diese Welt ausgebeutet haben. Daraus entsteht Gewalt – sowohl innerhalb der menschlichen Persönlichkeit als auch in der Welt. Ich wollte diese Glück-Thematik untersuchen. In Dornbirn zeige ich den ersten Teil des Stückes, der fast zur Gänze auf einem Text basiert, während der zweite Teil, den ich unglücklicherweise nicht zeigen kann, sich der Thematik über die Bewegung, den Körper annähert. Ich werde also eine Menge über diese Thematik sprechen, und der Text wird am Abend ausgehändigt werden. Darin sind alle Antworten auf Ihre Fragen (lacht).
Es geht also um eine Kritik an unserer Lebensart?
Ja, sehr stark, aber es ist so kompliziert, es mit Worten zu erklären ...

Die Kunst soll das Gehirn in Bewegung versetzen

... ich nehme an, darum tanzen Sie. Ihre Stücke beginnen meist mit einem poetischen Touch, bringen dann schließlich die Themen aber sehr direkt auf den Punkt. Muss Ihrer Meinung nach eine Performance kontroversiell verlaufen, sollte sie emotional aufgeladen sein, sollte sie irgendwelche gesellschaftspolitischen Absichten verfolgen?
Ich denke, dass Tanz eine extrem politische Kunstform sein kann. Der Körper auf der Bühne kann an sich schon ein starkes politisches Statement sein. Mein Körper und mein Frau-Sein auf der Bühne sind ein politisches Statement. Wenn kein Futter zum Denken in einer Aufführung ist, ist sie es nicht wert, überhaupt gemacht zu werden, denn es gibt schon so viel Unterhaltung in dieser Welt, wir brauchen nicht noch mehr Übereinstimmung. Die Kunst ist heutzutage die einzige Möglichkeit, die Menschen zum Nachdenken oder zum Fühlen zu bewegen und die Gehirne in Bewegung zu versetzen. Als Künstlerin bin ich dafür verantwortlich, das ist eine ganz wichtige Aufgabe.


Der Künstler ist eine Art politische Figur

Was ist Ihrer Meinung nach die Funktion des Künstlers?
Wenn man über die Welt nachdenkt, über den Stand der Dinge, und was alles passiert in dieser ach so lustigen Massenkultur, dann weiß man, wie viel Ramsch es im Leben gibt, der den Menschen ein schnelles Vergnügen bereitet. Das ist besorgniserregend. Es sollte uns bewusst sein, dass Kunst zu machen eine Art von Verpflichtung bedeutet. Der Grund, weshalb wir das machen, ist deshalb ein sehr politischer. Das ist meiner Meinung nach die Rolle des Künstlers. Er ist eine Art politische Figur, die etwas produziert, das uns zum Nachdenken darüber bringt, was und weshalb wir etwas tun und was alles passiert. Bei einem Solokünstler ist diese Rolle des Künstlers natürlich nochmals besonders unterstrichen. Wenn ich als Solokünstlerin arbeite, bin ich eine Art Protagonistin mit einer  Botschaft, die ich verbreiten will. Ich glaube, der politische Aspekt kommt bei einer Soloperformance klarer zum Vorschein.

Von einem neuen feministischen Standpunkt aus

Wie wichtig ist die weibliche Sichtweise für Ihr Werk?
Das ist sehr wichtig. Das ist mein Ausgangspunkt und mein Rückgrat. Meine Mission ist es, Frauenkunst zu unterstützen und mit Leben zu erfüllen.
Ist es eine weibliche Sichtweise oder eine feministische, oder beides?
(lacht) Ich habe keine Angst davor zu sagen, dass es ein feministischer Standpunkt ist. Aber welche Art von Feminismus? Das ist heutzutage eine sehr interessante Frage, weil es einerseits diesen gestrigen Feminismus gibt, aber auch einen neuen Feminismus, dem ich mich mehr verpflichtet fühle. Und natürlich auch der weiblichen Sichtweise, aber ich bin eine absolute Feministin. (lacht) Ich glaube, alle, die auf diesem Planeten denken, sind Feministen.
Sogar die Männer?
Ja, selbstverständlich. Dieser eben zitierte Satz stammt von einem Mann.

 

Veranstaltungstipp:

Mittwoch, 10. Juni, tanz ist Festival am Spielboden Dornbirn

2o Uhr: "The Afternoon of a Faun" in der Choreographie von Vaslav Nijinsky aus dem Jahr 1912 (Film)

20.30 Uhr Sanna Kekälainen & Company

The Afternoon of a Faun (ÖE)

"Onni-Bonheur-Happininess (first part)"