Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 03. Apr 2016 · Tanz

„Speak low if you speak love“ - Wim Vandekeybus/Ultima Vez begeistern beim „Bregenzer Frühling“ mit zweistündigem Spektakel zum Thema Liebe

Der Titel trügt. Er geht auf eine Textstelle in Shakespeares Komödie „Much Ado About Nothing“ zurück, die von Kurt Weill/Ogden Nash Anfang der 1940er Jahre leicht abgewandelt zum chartstauglichen Musical-Hit und viel interpretierten Jazzstandard verarbeitet wurde, aber „leise“ war an diesem Abend nicht wirklich angesagt. Vielmehr präsentierte der äußerst experimentierfreudige belgische Spitzenchoreograph Wim Vandekeybus mit seiner vor dreißig Jahren gegründeten Compagnie Ultima Vez ein über weite Strecken atemberaubendes und alle Grenzen auslotendes Spektakel, im dem Romantisch-Poetisches kaum auszumachen war.

Liebe – Begierde – Gewalt – Exzess


Kitschige Vorstellungen von Liebe, etwa als inniglicher Pas de deux, haben bei Vandekeybus keinen Platz. Ihm geht es vielmehr um das kraftvolle Ausloten des Spannungsfeldes aus Liebe, Begierde, Gewalt und Exzess. Die acht Tänzerinnen und Tänzer müssen aus einem weitgesteckten Bewegungsvokabular aus klassischen und zeitgenössischen Tanzstilen und diversen Kampfsportarten schöpfen und auch über beachtliche akrobatische und schauspielerische Fähigkeiten verfügen, um diese Vielzahl an zum Teil extrem kräftezehrenden und temporeichen Bildern umsetzen zu können. Diese lehnen sich mitunter an alte Sagen und Mythen an – etwa an Odysseus und die Sirenen oder an Orpheus und Eurydike, bleiben aber letztlich immer mysteriös und mehrdeutig. Da wird gestöhnt und geschrien, gekämpft und gejagt, entführt und vergewaltigt, Leidenschaft schlägt in Besessenheit um und Begierde in Brutalität. Schrecklich schön und ungemein eindrucksvoll. Dazwischen gibt es aber auch slapstickhafte Szenen, wenn etwa das ganze Ensemble in roten, unschuldig mädchenhaft wirkenden Kleidern herumtänzelt, oder ein glitzernder Haufen Kleingeld auf dem Tanzboden landet, um die gierige Kommerzialisierung der Liebesbranche in all ihren Spielarten anzudeuten. Selbst das gerne verdrängte Nahverhältnis zwischen Liebe und Tod, symbolisiert durch einen mehrfach ins Geschehen integrierten Sarg, hat auch seine komischen Seiten. Der oft grell inszenierte heterosexuelle Liebeskampf dominiert eindeutig das Geschehen, nur kurz einmal wird in einer Szene auch die gleichgeschlechtliche Liebe thematisiert. Da Nacktheit heutzutage kaum mehr provoziert oder verunsichert, spielt auch sie keine wesentliche Rolle.

Mehr als nur musikalische Begleitung

 

Dafür kommt der Musik in „Speak low if you speak love“ eine große Bedeutung zu. Der in der belgischen Indie-Rock-Band dEUS bekannt gewordene Gitarrist Mauro Pawlowski sorgt mit seinen Musikerkollegen Elko Blijweert und Jeroen Stevens sowie der Sängerin Tutu Puoane für einen stilistisch ungemein vielschichtigen, mitunter kraftvoll rockenden oder in exzessiven Noise-Experimenten gipfelnden Soundtrack. Da die Band live spielt und Pawlowski und Puoane auch immer wieder aktiv ins darstellerische Geschehen integriert werden, hat die Musik weit mehr als begleitenden oder untermalenden Charakter und ist unglaublich eng verzahnt mit den oft wuchtigen, eindrucksvoll emotionalen Bildern. Auch das Publikum wird mehrfach ins Geschehen integriert – schließlich ist die Liebe ein universelles Thema, auch wenn sie nicht immer so gewaltig und gewaltsam zelebriert wird wie von dieser exzellenten Compagnie.

Weitere Aufführungen beim "Bregenzer Frühling":
22.4. KVS/Les Ballets C de la B
29.4. aktionstheater ensemble
7.5. Shen Wei Dance Arts
28.5. Compagnie Marie Chouinard 

www.bregenzerfruehling.at