"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Fritz Jurmann · 09. Jun 2013 · Musik

Zwischen Melancholie und Leidenschaft: Oskar Egles Kammerchor „Vocale Neuburg“ und der Akkordeonist Goran Kovacevic mit Tangoklängen aus Südamerika

Was haben eigentlich Oskar Egle und Goran Kovacevic gemeinsam? Eigentlich nichts, außer dass sie beide Ausnahmemusiker auf ihrem Gebiet sind: der eine als Guru der Chorszene im Land, der andere als Ausnahmemusiker am Akkordeon und Tangospezialist im Besonderen. Es war eine geniale Idee, diese beiden Kapazunder samt ihren Ensembles zu einem Abend voll prallen lateinamerikanischen Flairs zu vereinen, der am Samstag auf der Götzner Kulturbühne AmBach auf großes Interesse und Begeisterung gestoßen ist.

Idee aus Südamerika mitgebracht


„Anima Sola“ haben sie dieses Programm genannt. Die Idee dazu kam Oskar Egle, der stets ein besonderes Händchen für das Besondere in seinen Programm hat, als er vor einiger Zeit an einem Symposion in Südamerika teilnahm und dort so viele Eindrücke und Ideen gesammelt hat, dass er damit locker einen kompletten und mitreißenden Konzertabend mit seinem Kammerchor „Vocale Neuburg“ gestalten konnte. Natürlich war auch der seit 1999 am Konservatorium tätige Goran Kovacevic, als Allroundmusiker auf dem Akkordeon von Bach bis Weltmusik unterwegs, Feuer und Flamme für dieses Projekt und brachte dazu sein „Quinteto Nuevo del Arco“ ein.

Gemeinsam ergibt das einen Abend, der geprägt ist vom erfolgreichen Bemühen um höchstmögliche Authentizität im Vokalen wie im Instrumentalen, fast wie in einem unsichtbaren Wettstreit der beiden Gruppen um die Gunst des zahlreichen Publikums, das sich sehr rasch in das besondere Flair dieser Musik hineinfallen und sich davon forttragen lässt. Die lateinamerikanische Musik mit ihren vielen Einflüssen von außen besitzt ja auch in ihrer klassischen Ausformung einen ganz speziellen Reiz im Spannungsfeld von Melancholie und Lebensfreude, Leidenschaft und Eifersucht. Nicht umsonst ist einem bei den vielen eingeblendeten Zitaten dieses ins Auge gestochen: „Der Tango ist der vertikale Ausdruck einer horizontalen Leidenschaft“. Das sagt wohl alles.

Hintergründe und Geschichte dieser Musik


Und es ist ganz wichtig, dass die Zuhörer in klugen Moderationen von Obfrau Monika Renner auch einiges über Hintergründe und Geschichte dieser Musik erfuhren, die eng verbunden ist mit dem Schicksal der Indios und wohl deshalb in den meisten Fällen auch eher traurig und bedrückt klingt. In grausamen Eroberungskriegen wurde die Zahl der Ureinwohner Lateinamerikas von 80 auf 10 Millionen reduziert.

Und es ist auch durchaus am Platz, wenn in diesem Zusammenhang auf die wertvolle Arbeit des Vorarlberger Bischofs Erwin Kräutler verwiesen wird, der in Brasilien gegen die Profitgier einen erbitterten Kampf um die Lebensbedingungen der dortigen Einwohner führt, von denen zwei Drittel unterernährt sind und wo 15 Millionen Kinder allein auf der Straße leben. Aus diesem sozialen Umfeld der Vergangenheit wird einem an diesem Abend so manch beklemmende Wendung in der Musik klar, aber auch jene Lebenskraft, mit der sich die Einwohner gegen ihr Schicksal zur Wehr setzten.

Ausgetüftelter Chorklang


Oskar Egle legt anstelle der sonst gerne gepflegten Bewegungsregie sein besonderes Augenmerk diesmal auf den subtil ausgetüftelten Chorklang, einem Markenzeichen von „Vocale“. Und bringt das Kunststück zuwege, dass seine 17 Damen (stilgerecht mit roter Rose im Haar oder am Kleid) und 13 Herren diesmal nicht nur besonders sinnlich singen, sondern oft auch in einer speziellen, kehlig-grellen Färbung, wie man das von der südamerikanischen Folklore kennt. Das wird gleich beim ersten Stück zum Überraschungseffekt in den Frauenstimmen: ein verhaltenes „Lacrimosa“ von Alvarez aus der Totenmesse entwickelt sich über das „Lux aeterna“ von Moruja bis zum strahlenden „Alleluia“ eines brasilianischen Psalms.

Die reichhaltige Harmonik dieser Musik mit oft beängstigend eng gesetzten, jazzgetränkten Traubenakkorden und Rückungen kann die Sänger nie aus der Fassung bringen, in wunderbarer Reinheit und Einheit entstehen diese Klänge aus den modellierenden Händen von Oskar Egle wie in vielen Proben einstudiert und wie von selbst. Und auch die oft komplizierte Rhythmik mit verschobenen Schwerpunkten, unterstützt von dem Perkussionisten David Soyza, sowie die lockeren Vokalisen kommen bombensicher und oft sogar auswendig. Eine geschmackvolle Lichtregie im Saal mit aufgehender Sonne und ein angenehmes Sound-Design unterstützen diese Eindrücke.

Wie verwachsen mit seinem Instrument


Eine idealere instrumentale Ergänzung für dieses Programm hätte man sich nicht wünschen können als Akkordeon-Großmeister Goran Kovacevic, der unglaublich authentisch und packend die Tangoliteratur von Astor Piazolla zu seinem Glaubensbekenntnis macht, von „Oblivion“ am Beginn über den „Tango del Diablo“ bis zum „Libertango“ als Zugabe. Das Akkordeon klingt dann oft fast wie ein Bandoneon, zart und dann wieder fauchend. Es fasziniert, wie sehr Goran mit seinem Instrument wie verwachsen scheint, brillant den Diskant wie die Balgtechnik beherrscht und manches Mal auch mit der rechten Hand den Rhythmus klopft.

Ein neues, junges Quintett aus exzellenten heimischen Streichern unterstützt ihn dabei mit enormem Feeling und in tollen Arrangements: Monica Tarcsay und Clarigna Küng, Violinen, Gyöngyi Ellensohn, Viola, Stefan Susana am Violoncello und Bernd Konzett am Kontrabass bilden ein detailgenau aufeinander eingespieltes Team. Was sich da an klanglicher Vielfalt und fein dosierter Spielfreude entwickelt, steht spielerisch und als selbstbewusstes Symbol der Musikkultur eines ganzen Kontinents auf höchstem Niveau.

Die Dosierung dieses Programms als gut eineinhalbstündige Collage ohne Pause ist genau richtig. So bleibt die Spannung diesseits und jenseits der Bühne bis zum frenetischen Schlussjubel erhalten.

4. – 7. Juli: Teilnahme von „Vocale Neuburg“ am 50. Int. Chorwettbewerb in Spittal/Dau