Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 04. Okt 2014 · Musik

Zwischen den Tönen hören und in den Tönen baden – spannender Auftakt des „BERLIN Jazz& Curry Wurst WEEKEND“ am Dornbirner Spielboden

Selbst bei einem an sich simplen Gericht wie der Curry Wurst sind Nuancen qualitativer und geschmacklicher Art durchaus festzustellen. Dieser erste Abend des „BERLIN Jazz& Curry Wurst WEEKEND“ am Spielboden war jedenfalls – um im Bild zu bleiben – Haute Cuisine! Die von Chefkoch Alfred Vogel engagierten Bands bedienten durch ihre konzeptionell weit auseinander liegenden musikalischen Ausrichtungen auch die unterschiedlichsten Geschmacksnerven und ließen nichts anbrennen.

Johannes Lauer Trio feat. Jonas Westergaard und Joe Smith


Der 1982 geborene und in Ravensburg aufgewachsene Johannes Lauer zählt schon seit Jahren sowohl als Posaunist als auch als Komponist zu den gefragten Namen der jazzreichen deutschen Bundeshauptstadt. Der dänische Kontrabassist Jonas Westergaard ist nicht nur in seiner Heimat, sondern mittlerweile auch in der deutschen Jazzszene tief verwurzelt, und der Dritte im Bunde, der aus Chicago stammende Schlagzeuger Joe Smith, hat via New York und Barcelona vor drei Jahren ebenfalls den Weg nach Berlin gefunden. Alle drei spielen in den unterschiedlichsten Formationen, im Trio laufen sie aber zur Höchstform auf.

Als Auftakt wählten sie den alten, aus Zeiten der Sklaverei stammenden und mittlerweile in Dutzenden Interpretationen von Künstlern aus allen musikalischen Lagern bekannt gemachten Spiritual „Sometimes I Feel Lika A Motherless Child“ und offenbarten damit gleich auch ihr musikalisches Konzept: minimalistisch, aussparend, zurückhaltendes aufeinander Hören, unaufgeregte, aber tiefgreifende Kommunikation. Johannes Lauer, der unter anderem bei Jiggs Whigham und Adrian Mears studiert hat, ist ein technisch brillanter Posaunist auf der Höhe der Zeit, der mit einem ganzen Arsenal an Dämpfern die unterschiedlichsten Sounds erzeugen kann, sich aber nie in den Vordergrund spielt. Bei den von allen Bandmitgliedern beigesteuerten Eigenkompositionen bestand das Vergnügen – wie bei guter Literatur, wo man zwischen den Zeilen lesen kann – darin, zwischen den Tönen zu hören. Was sich, wenn man selber nicht dabei gewesen ist, vielleicht kompliziert anhören mag, ist in Wirklichkeit aber eine leichte und höchst vergnügliche Übung.

Almut Kühne


Für zwei Stücke machte die junge Sängerin und Komponistin Almut Kühne das Trio zum Quartett. Mit der von Billie Holiday über Marlene Dietrich, Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan bis zu Diana Krall oder Bryan Ferry x-fach interpretierten Swing-Ballade „You Go To My Head“ bewiesen sie einmal mehr ihren völlig unverkrampften Umgang mit der Jazz-History. Rasch brachte Kühne ihre verblüffende Vielseitigkeit ins Spiel, mit der sie in ihrer anschließenden Solo-Performance brillierte. Sie betonte gleich am Anfang, nichts vorbereitet zu haben, sondern sich auf spontane Eingebungen einlassen zu wollen, was dann auch perfekt funktioniert: Sprachfetzen, imaginäre Dialoge, alle Arten von Gefühlsäußerungen, kleine Melodien mit glasklarer, aber sehr angenehmer Stimme gesungen, werden in spannungsgeladene Vokalminiaturen gegossen. Dabei steckt der sympathischen Sängerin, deren Techniken mitunter an Lauren Newton, Bobby McFerrin oder in einer mit kehliger Stimme gesungenen, schamanistisch angehauchten Nummer an Sainkho Namtchylak erinnern, stets der Schalk im Nacken. So bleibt ihr – nachdem sie das Publikum um eine spontane Inspiration gebeten hatte – die gewünschte „Curry Wurst“ buchstäblich mehrfach im Halse stecken, ehe sie schlussendlich dann doch noch vokalistisch entsorgt werden kann. Almut Kühne ist eine Vokalistin, die alle Genregrenzen hinter sich lässt und ohne Rücksicht auf Verluste auch an ihre ganz persönlichen Grenzen geht: beeindruckend!

Christian Lillingers Grund


Kein „Grund“ zur Panik! Auch wenn dieses außergewöhnlich besetzte Septett mit zwei Kontrabassisten (Jonas Westergaard und Robert Landfermann), Tobias Delius an Tenorsax und Klarinette, Altsaxophonist Pierre Borel, Vibraphonist Christopher Dell und Achim Kaufmann am Flügel und natürlich dem Trommel-Großmeister aller Klassen Christian Lillinger an den Drums von allem Anfang an absolut in die Vollen geht. Was beim Johannes Lauer Trio ausgespart wurde, wird hier aufgefüllt. Man kann sozusagen in Sounds und Tönen baden, sich im Strudel forttragen, kurz mal im Wirbel untergehen und sich an fremden Gestaden wieder an Land ausspucken lassen. Christian Lillinger führt mit seinen Kompositionen, die einmal dichter sind, dann wieder mehr Freilauf lassen, in wenig erforschte Klanglandschaften, die bei aufgeschlossenen Gemütern auch nette Erinnerungen an den Free Jazz der 70er Jahre hochkommen lassen. Etwa wenn der mit allen musikalischen Wassern gewaschene Achim Kaufmann in wilden Clustern über die Tastatur fegt, wenn die beiden Saxophonisten wilde Eruptionen auskotzen oder Lillinger sein Schlagzeug nach allen Regeln der Kunst umhegt und verprügelt. Die enorme Spannung, die aus dem Gegenüber von ruhig, fast etwas zerfleddert wirkenden Passagen und dynamisch-expressiven Aufwallungen der Extraklasse entsteht, zieht einen rasch völlig in den Bann. Christian Lillinger, der sich immer mehr zu den wegweisenden Figuren im europäischen Avantgarde-Jazz entwickelt, bezeichnete den Abend als öffentliche Uraufführung seiner Stücke, die gleich tags darauf im Pirouette-Studio in München aufgenommen werden sollen. Man darf schon gespannt sein auf diese CD, wenngleich gerade in diesem musikalischen Bereich kein Silberling das Live-Erlebnis wirklich ersetzen kann.

Kleiner Aufruf zum Schluss


Avantgarde-Jazz und freie Improvisationen tun nicht weh! Sie sind ungefährlich und ohne unerwünschte Nebenwirkungen – es sei denn, eine Erweiterung des musikalischen Horizonts oder ein spielerischer Umgang mit Neuem werden als solche empfunden. Auch Curry Wurst ist nicht jedermanns Geschmack, auf der beachtlichen Karte der Spielboden-Kantine steht aber auch ein köstlicher, nach allen Regeln der Kunst zubereiteter Rinderschmorbraten. Also kommet zuhauf, wenn das „BERLIN Jazz & Curry Wurst WEEKEND“ heute Abend mit zwei gleichermaßen extravaganten wie erstklassigen Bands – Gebhard Ullmanns BassX3 und The Killing Popes – ins Finale geht!

 

 

„BERLIN Jazz & Curry Wurst WEEKEND“ – Finale

Gebhard Ullmanns BassX3
Gebhard Ullmann (Bassklarinette & Bassflöte)
Clayton Thomas (Kontrabass und Objekte)
Chris Dahlgren (Kontrabass & Objekte)

The Killing Popes
Petter Eldh (bass, compositions)
Oli Steidle (drums, compositions)
Andrea Parkins (accordion, electronics)
Frank Gratowski (reeds)
Kalle Kalima (guitar)

Samstag, 4.10., 20.30 Uhr
Spielboden Dornbirn

www.spielboden.at, karten@spielboden.at