Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Silvia Thurner · 03. Aug 2010 · Musik

Wunsch nach mehr - Auch der zweite Konzertabend mit MusicAeterna und Teodor Currentzis wurde stürmisch gefeiert

Das zweite Konzert mit dem Kammerorchester MusicAeterna, das im Rahmen der diesjährigen Bregenzer Festspiele für Gesprächsstoff sorgte, fand im Festspielhaus statt. Auf dem Programm stand das letzte vollendete Werk von Mieczyslaw Weinberg, eine Rhapsodie über Moldawische Themen sowie Beethovens „Fünfte“. Die Weinberg-Kompositionen boten weitere Einblicke in sein vielschichtiges Schaffen. Beethoven wurde vom bereits bejubelten Dirigenten Teodor Currentzis entschlackt und wieder bemerkenswert individuell gedeutet.

Das  letzte vollendete Werk von Mieczyslaw Weinberg, seine Kammersymphonie Nr. 4, ist im Jahr 1992 entstanden. In der Werkdeutung von MusicAeterna kam die introvertierte Welt des Komponisten gut zur Geltung. Kompositorisch überzeugte die Kammersymphonie beim ersten Höreindruck nicht ganz, dies tut der persönlichen Ausdruckswelt von Mieczyslaw Weinberg, die nun mal in der Tradition des 19. Jahrhunderts begründet liegt, jedoch keinen Abbruch. Jedenfalls entfaltete Teodor Currentzis mit seinen Musikern ein dichtes musikalisches Gewebe, das die wunderbar aufeinander abgestimmte Klangkultur des Kammerorchesters verdeutlichte. Die musikalische Zeit und die Zeiterfahrung in diesem Werk, das darüber hinaus gespickt ist mit Ton- und Intervallsymbolen, standen im Vordergrund der Werkdeutung. So kamen auch den Momenten der Stille - in der Generalpause und am Schluss - große Bedeutung zu. Als besonderes Stilmittel setzte Weinberg zum Streichorchester eine Klarinette hinzu, die quasi solistisch über dem Orchesterklang eingesetzt war.

Klarinettenstimme ergänzt das Klangkollektiv und tritt ihm gegenüber



Jüdische Lieder und melodische Gedanken, die viele Assoziationen ermöglichten, erklangen in der Klarinettenstimme. Es ist bekannt, dass die Klarinette in der jüdischen Musik auch für einen musikalischen Sprachcharakter eingesetzt wird. Deshalb nahmen die solistischen Passagen, die Petr Belyakin intensiv und mit einem bewundernswerten Ausdrucksgehalt verkörperte, eine besondere Stellung ein. Tremoli und Trillermotive als Zeichen der Erregung wirkten eindringlich und verdichteten den musikalischen Fluss zudem.

Ständiger Bedrohung ausgeliefert



Der mitunter etwas langatmigen vierten Kammersymphonie folgte die „Rhapsodie über moldawische Themen“, op. 47 ebenfalls von Mieczyslaw Weinberg. Auch diese Komposition ist autobiografisch und stellt quasi ein Gedenken an Verwandte in Moldawien dar. Auch diese Komposition ist im engen Korsett von politischen Repressalien entstanden, die der Komponist aushalten musste. Unmittelbar nach der Erstaufführung im Februar 1953 wurde Weinberg verhaftet, zum Glück für den Komponisten und für uns wurde er durch den Tod Stalins im März 1953 vor Folter und dem möglichen Tod verschont.



Reverenz erwiesen



Vor allem die kraftvollen Rhythmen und beschwingten Melodien der Volksmusik aus den Balkanländern verfehlen auch in der „Rhapsodie über moldawische Themen“ ihre Wirkung beim Publikum nicht. Mit zahlreichen solistischen Darbietungen stellten die OrchestermusikerInnen ihre Virtuosität unter Beweis. Als Meister der Instrumentationskunst wurde Weinberg in der Rhapsodie erlebbar, denn die unterschiedlichsten Instrumentalstimmen schillerten in vielen effektvollen Farben. Ein gut proportionierter Wechsel zwischen rhythmisch pointierter Spannung und klangsinnlicher Entspannung bot eine abwechslungsreiche Unterhaltung.

Energetisch, dynamisch und impulsiv



Nach der Pause kam für viele die mit Spannung erwartete Interpretation der fünften Symphonie von Ludwig van Beethoven. Wohl fast alle im Publikum kennen dieses Schlüsselwerk der Musikgeschichte mehr oder weniger gut. Interpretationsvergleiche waren daher der Reiz der Darbietung. Teodor Currentzis und seine Musiker musizierten sehr gut aufeinander eingestimmt, temperamentvoll und stringent. Vor allem die unzähligen Details der Themen- und Motivgestaltung sowie rhythmische Parameter, die hier ganz individuell gedeutet, unterstrichen und hervorgehoben wurden, zogen die Aufmerksamkeit auf sich. So wurden auch in dieser Werkdeutung Facetten der Linienführung und Akzentuierung erlebbar, die ich bislang so nicht gehört hatte. Aus einer höchst bemerkenswerten Pianokultur im Tuttiklang führte Teodor Currentzis den Klangfluss bei der Schlüsselstelle der gesamten Symphonie in lichte Höhen, so dass der berühmte Spruch „vom Dunkel zum Licht“ mehr als deutlich ausgekostet werden konnte.


Zeitfelder innerhalb des Werkganzen wurden bis zur Grenze ausgelotet. Neben unzähligen akustischen Beobachtungen, die diese Werkdeutung ermöglichte, beeindruckten mich vor allem die harmonischen Spannungsbögen, die das Kammerorchester erlebbar machten. Nach zwei aufregenden Konzertabenden bleibt der Wunsch dieses engagierte Kammerorchester und vor allem seinen Chefdirigenten Teodor Currentzis bald wieder hierzulande hören zu können.