Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Silvia Thurner · 28. Mai 2018 · Musik

(Wirk)mächtige Musik – Das Symphonieorchester Vorarlberg und Gérard Korsten schwelgten im Klang

Mit einem spannenden Programm sowie hervorragenden Werkdeutungen verabschiedete sich Gérard Korsten als Chefdirigent des Symphonieorchesters Vorarlberg. Unter dem Leitgedanken „missbraucht – verfemt“ erklangen einerseits von den Nationalsozialisten missbrauchte Kompositionen von Liszt und Wagner sowie andererseits Werke der Komponisten Korngold und Hindemith, die vertrieben worden sind. Das groß besetzte SOV und Gérard Korsten bescherten dem Publikum imponierende Hörerlebnisse, doch am meisten bewegte Benjamin Schmid mit seiner eindrücklichen Interpretation des Violinkonzertes von Erich Korngold. Zum Abschluss dankten der Geschäftsführer Thomas Heißbauer, SOV-Präsident Manfred Schnetzer und Landesrat Christian Bernhard dem verdienstvollen Ehrendirigenten Gérard Korsten für sein 13-jähriges Wirken und ernannten ihn zum Ehrendirigenten auf Lebenszeit.

Der Geiger Benjamin Schmid ist bekannt für seine durchdringende Spielart. Mit dem Symphonieorchester Vorarlberg musizierte der in Salzburg und Bern lehrende Musiker bereits öfters zusammen, doch diese Werkdeutung von Korngolds Violinkonzert in D-Dur, op. 35 wird noch lange in Erinnerung bleiben.

Energien freisetzen

Das hoch romantische, gleichzeitig auch dramatische und klangmalerische Violinkonzert spielte Benjamin Schmid mit einer derart eindrücklichen Aussagekraft und facettenreichen Tongebung, dass wohl vielen eine Gänsehaut über den Rücken lief. Die Töne schattierte Benjamin Schmid mittels Vibrati in unzähligen Nuancierungen ab und darüber hinaus unterstrich er durch feine Glissandi die Intensität der Tonansprache. Dies waren jedoch lediglich zwei Beobachtungen einer Werkdeutung, über die es viel zu berichten gäbe. Energetisch kam dabei Benjamin Schmids Persönlichkeit zur Geltung.
Das Orchester wirkte präsent und gestaltete korrespondierende Passagen mit einer ausgezeichneten Pianokultur. Unter anderem lenkten Dialoge des Solisten mit Orchestermusikern die Aufmerksamkeit auf sich. Die clusterartige Tonschichtung am Ende des ersten Satzes und das Finale hinterließen überdies einen großen Eindruck.

Künstlerische Freiheit in autoritären Zeiten

Paul Hindemiths Sinfonie „Mathis der Maler“ ist wenig im Konzertsaal präsent. Die feinsinnigen, teilweise sogar eher kammermusikalisch angelegten Dialogstrukturen gestalteten die Musiker hervorragend aus. Den Höhepunkt bildete der in einer bewundernswert behutsamen Tongebung erklingende Mittelteil, die „Grablegung“. Aufregend modellierte das Orchester die kristallin, „explodierenden“ Klänge sowie die choralartigen Linien im monumentalen Finale.

Missbrauchte Musik

Musik verströmt eine heroische Wirkung, wenn sie so gesetzt ist wie beispielsweise Franz Liszts „Les Préludes“ (S 97). Die Tondichtung lebt von langsam heranwachsenden Klangtürmen, hymnischen Steigerungen, einer Auffächerung des Klangspektrum über alle Register hinweg, raumgreifenden Akkordzerlegungen sowie monumental geführten Bläserfanfaren. Genau derartige Kompositionen dienten dem Naziregime auch für Propagandazwecke. Allein aus diesem Grund ist Liszts „Les Préludes“ seit Jahrzehnten nur mehr bedingt oder unter bestimmten Aspekten für den Konzertsaal tauglich.
Das mitreißende Klanggemälde spielte das SOV hervorragend. Rasch fanden die Musikerinnen und Musiker den gemeinsamen Atem und zelebrierten die heroischen Gipfelstürme sowie die Naturschilderungen und Marschrhythmen mit viel musikalischer Energie. Selbstverständlich verfehlte die Musik auch im Bregenzer Festspielhaus ihre erhebende Wirkung nicht. Dies traf auch für Wagners „Meistersinger-Ouvertüre“ zu, die das Orchester mit großer Leidenschaft in den Raum stellte.

Ehrendirigent auf Lebenszeit

Die monumentalen Werke und die emphatische Spielart des Orchesters verbreiteten im Saal eine aufgewühlte Atmosphäre. Gérard Korsten dirigierte die Musikerinnen und Musiker mit großem Körpereinsatz und es war gut nachvollziehbar, dass weitläufige musikalische Gesten, imposante Klangkulminationen sowie ausladende Linien seinem überschwänglichen Temperament entgegen kommen und er diese in der Musik widerspiegeln kann. So erlebten die Zuhörenden einen – im besten Sinnes des Wortes - großen Abschluss seiner Tätigkeit als Chefdirigent des Symphonieorchesters Vorarlberg. Herzlich dankten Thomas Heißbauer und Christian Bernhard dem langjährigen Chefdirigenten. Manfred Schnetzer ernannte Gérard Korsten als Anerkennung für das Geleistete zum „Ehrendirigenten auf Lebenszeit“.

Zu guter Letzt

Gérard Korsten hat als Chefdirigent des Symphonieorchesters Vorarlberg dem Publikum in den vergangenen 13 Jahren einige musikalische Höhenflüge beschert. Vor allem am Beginn seines Wirkens entwickelte sich der Orchesterklang zu enormer Strahlkraft. Ein Wermutstropfen im Engagement des Dirigenten war sein nicht gerade erquickliches Verhältnis zu den meisten in Vorarlberg tätigen Komponisten. Seit einiger Zeit war in manchen SOV-Konzerten eine ermattende Motivation spürbar. Deshalb zeugt es von Größe, dass Gérard Korsten dies rasch erkannte und die Konsequenzen zog.