Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Silvia Thurner · 27. Jul 2012 · Musik

Wie ein Trüffelschwein auf der Suche nach Liebe und Sinn – „Nico and the Navigators“ interpretierten Gioachino Rossinis „Petite messe solennelle“ fantasie- und geistreich

„Nico and the Navigators“, die erfolgreiche und originelle Musiktheatertruppe rund um Nicola Hümpel, gastierte mit Rossinis „Petite messe solennelle“ bei den Bregenzer Festspielen. Im Rahmen der Performance interpretierten SängerInnen, MusikerInnen, Darsteller sowie eine Tänzerin mit einer fantasiereichen Bildersprache die außergewöhnliche Messkomposition von Gioachino Rossini. Assoziationsreich und mit einem spielerischen musikalischen Zugang wurden religionsphilosophische Fragen in den Raum gestellt, die vielfältige individuelle Deutungsmuster zuließen. Bewundernswert agierten die zwölf ChorsängerInnen, die nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch ihre große Meisterschaft unter Beweis stellten.

Gioachino Rossini setzte sich mit seinem Alterswerk, der „Petite messe solennelle“ ein Denkmal, das ihn auch als Künstler mit einem ausgeprägten Sinn für Selbstironie und Humor auszeichnete. Gleichzeitig strahlt diese ungewöhnliche Messkomposition eine heitere Ernsthaftigkeit aus, die ihresgleichen sucht. Diese kompositorischen Eigenschaften machte sich die Berliner Musiktheatergruppe „Nico and the Navigators“ für ihre individuelle Interpretation dieser „kleinen festlichen Messe“ zunutze.

Hervorragende SängerInnen

Vor allem die zwölf SängerInnen unter der Leitung von Nicholas Jenkins beeindruckten mit ihrer musikalischen Darstellungskraft. Als SolistInnen waren Laura Mitchel, Sopran; Ulrike Mayer, Mezzosopran; Milos Bulajic, Tenor und Pauls Putnins, Bass zu hören. Trotz einer vielschichtig angelegten Choreografie und unzähligen darstellerischen Hinweisen wirkten sie locker und souverän. Humorvoll, teilweise mit fast zu übersteigerter Doppeldeutigkeit, erklangen die musikalisch anspruchsvollen Messteile, besondere Beachtung fanden dabei die kontrapunktischen Stimmführungen.

Ausgefallene Instrumentierung

Die „Petite messe solennelle“ ist für zwei Klaviere und Harmonien gesetzt und in dieser Besetzung präsentierten auch „Nico and the Navigators“ das Werk. So blieben die SängerInnen und MuskerInnen sehr nahe an der Originalversion und erreichten damit eine ausgeprägte Stringenz. Gut gelöst wurde die Positionierung der Instrumente, die auf rollenden Tableaus variabel auf der Bühne positioniert werden konnten. SooJin Anjou und David Zobel an den Klavieren sowie Jan Gerdes am Harmonium musizierten im Dienste der ChorsängerInnen und hoch konzentriert.

Ironische Gesellschaftskritik

Um die Messkomposition in eine Musiktheaterperformance zu übersetzten, führte die Regisseurin und Ensembleleiterin Nicola Hümpel drei Protagonisten und eine Tänzerin ein. In skurrilen, witzigen und sarkastischen Dialogen thematisierten Peter Fasching, Adrian Gillot und Patric Schott eine Sinnsuche. Unter anderem wurden religiöse Vertreter als Verführer und Menschen erlebbar, die zwar davon sprechen, zuhören zu wollen, jedoch am meisten mit sich selbst beschäftigt sind. Bestechlich waren alle Protagonisten auf ihre Weise und in unterschiedlichen Zusammenhängen. Eine abstruse Esoterik und der Wellnessboom sowie die Sehnsucht nach der Idylle auf dem Land wurden als Religionsersatz präsentiert.

Ein schlichtes, aber äußerst raffiniertes Bühnenbild und ein Tribünenaufbau, der zahlreiche überraschende Benutzungselemente in sich barg, bereicherten die Aufführung.

Tänzerin der Extraklasse

Die Tänzerin Yui Kawaguchi war eine Klasse für sich. Ihre tänzerischen Beiträge wirkten ganz von der Musik inspiriert, durchzogen von einer mitreißenden humoristischen Ader und einer akrobatischen Leichtigkeit, die die Aufführung maßgeblich bereicherte.

Gedanken zur Ausrichtung von KAZ

„Nico and the Navigators“ gastierten im Rahmen der Schiene „Kunst aus der Zeit“ der Bregenzer Festspiele. Sie boten tiefgründige Unterhaltung auf höchstem Niveau und fanden auf der Werkstattbühne viel Zustimmung. Allerdings erscheint mir diese Performance im Rahmen der „Kunst aus der Zeit“ (KAZ) nicht passend platziert.

Bekanntlich wurde dieses „dritte Standbein“ der Festspiele in diesem Jahr massiv gekürzt, lediglich drei Veranstaltungen finden im Rahmen der KAZ statt. Es ist symptomatisch, dass genau die avancierten Kunstformen den Sparprogrammen zum Opfer gefallen sind. Unmittelbar nach der Festivalsaison 2011 wurde Laura Berman, die künstlerische Leiterin der Kunst aus der Zeit – salopp gesagt – „ruhiggestellt“.

Von der Programmschiene „Kunst aus der Zeit“ erwarte ich mir Musik und Musiktheaterformen, die wirklich auf der Höhe unserer Zeit stehen, die nicht rückwärtsgewandt in die Zukunft weisen, sondern tatsächlich zukunftsweisend wirken.