Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Fritz Jurmann · 05. Dez 2010 · Musik

Wie ein leuchtender Stern - Der Adventsgedanke neu gedeutet durch „Sonus Brass“ und „Vocale Neuburg“

Aus der Unzahl von Advent- und Weihnachtskonzerten, die derzeit landauf landab über uns kommen, überragte das Programm in der Bregenzer Stadtpfarrkirche St. Gallus das übliche Angebot wie ein leuchtender Stern. Dazu hatten die Bläser von „Sonus Brass“ und die Sänger von „Vocale Neuburg“ unter Oskar Egle zusammen mit dem Schauspieler Kurt Sternik eine unkonventionelle Mischung aus Althergebrachtem und Neuem vorbereitet. Trotz der relativ großen Länge von über 90 Minuten verfolgte das zahlreiche Publikum in der kalten Kirche mit anhaltender Spannung ein Programm, das in dieser Qualität derzeit im Land schwerlich zu toppen sein dürfte.

Advent ohne Kitsch und Kommerz

In mystisches Halbdunkel getaucht präsentierten sich Musiker, Sänger und der Sprecher vor dem Altarraum der barocken St. Galluskirche mit dem wieder ausgegrabenen Silberaltar im Zentrum. Die rechte Atmosphäre zu einer geistigen Neudeutung des Adventsgedankens abseits ausgetretener Pfade, also in einem universellen Sinne. Und auch ganz ohne Kitsch und Kommerz, ohne die bei manchen dieser Anlässe anscheinend unvermeidliche Betulichkeit und Süßlichkeit.
Da muss sehr viel Arbeit dahinter stecken, wie Oskar Egle, der im Abendprogramm gar nicht erwähnte Chef des Kammerchores, die 28 ausgewählten Stimmen auf seine spezielle Sichtweise in der Programmwahl eingeschworen hat. Es ist seine allein vom guten Geschmack und Gespür geleitete inspirierende Auswahl, in der etwa schlichte Volksliedsätze von Verena Gillard oder Erich Hollenstein unmittelbar Platz haben neben Spirituals im aktuellen Chorgewand samt Stampfen und Schnipsen wie „Steal away“ oder das swingende „Wade in the Water“, wie sie längst zum Markenzeichen von „Vocale Neuburg“ geworden sind. Auch Bachs Choraltradition in „Jesu bleibet meine Freude“ wird hier durch Gottfried Wolters ideenreichen Satz von „Maria durch ein Dornwald ging“ oder Hugo Distlers aufregendes Arrangement von „O Heiland reiß die Himmel auf“ aufgemischt. Da bleiben keine Wünsche offen, jedes Stück erhält seine besondere, passende Akzentuierung im jugendlich klaren, variablen, in sich geschlossenen Chorklang von großer Schönheit.
Solch ungeschminkte Denkweise in phänomenaler Stilsicherheit über alle Bereiche  hinweg findet sich auch bei den fünf exzellenten Blechbläsern von „Sonus Brass“. Da wird mit leichtem Ansatz und schlackenlos musiziert, in einer Ausgewogenheit und Intonationsreinheit, die auch angesichts der Temperatur in der Kirche Bewunderung abverlangen. Auch hier steht eine barocke Triosonate neben dem Brahms-„Wiegenlied“ in frecher Verfremdung. Dann als virtuoser Glanzpunkt Bachs kleine Fuge g-Moll, in einer Reihe vor dem Publikum stehend, das so jeden Stimmeinsatz verfolgen kann. Alles auswendig und mit einer Exaktheit exerziert, die Staunen macht. Die geniale Verflechtung von Händels „Halleluja“ mit „O when the Saints“ sprüht geradezu vor übermütiger Spielfreude.

Vanillekipferln und Hiroshima

So vielfältig und weitgehend kitschfrei ist auch die Auswahl der Lyrik von Rezitator Kurt Sternik. Neben Klassikern wie Theodor Storms „Knecht Ruprecht“ („Von drauß‘ vom Walde komm ich her“) geht es heiter um weihnachtliche Köstlichkeiten wie Gänsebraten und Vanillekipferln, aber auch um so Existenzielles wie Hunger und Krieg („Hiroshima“).
Und da ist auch noch die Bewegung, die Einbeziehung des Raumes, eine gewisse „Inszenierung“ also, die beide Ensembles so lieben. Schon am Beginn erklingt das uralte adventliche „Rorando coeli“ mit Sänger- und Bläsergruppen von drei Seiten – ein faszinierender Echoeffekt. Händels „Lascia ch’io piange“ wird von „Sonus Brass“ auswendig im Mittelgang gespielt. Die Überraschung aber folgt am Schluss mit „O du stille Zeit“, jenem liebenswerten Anachronismus, der dem Abend das Motto gegeben hat. Aus der einfachen Weise schält sich behutsam der schnarrende Obertongesang tibetanischer Mönche, wird zu einer fast übersinnlichen Klangwolke, und alle Mitwirkenden ziehen prozessionsartig hinaus in die kalte Winternacht. Und lassen eine ebenso verblüffte wie begeisterte Zuhörerschaft zurück.