"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Fritz Jurmann · 26. Jul 2010 · Musik

Weinbergs 17. Symphonie bei den Bregenzer Festspielen – Musik für die Rumpelkammer?

Hatte Mieczyslaw Weinberg so etwas wie eine Vorahnung, als er 1984 seine späte Symphonie Nr. 17, op. 137 zu Papier brachte? „Solche Werke haben ihren Platz in der Rumpelkammer“, meinte er damals in einem bemerkenswerten Anfall von Selbstironie. In Wirklichkeit hatte er wohl geahnt, wie altvaterisch und verstaubt diese Symphonie gewirkt haben mag und es heute noch tut, wie man sich am Sonntag bei der Matinee der Wiener Symphoniker überzeugen konnte. Das Werk ist beim Festspielpublikum schlicht durchgefallen, obwohl man sich für eine möglichst authentische Interpretation den russischen Pultstar Vladimir Fedoseyev eingeladen hatte, dem dieses Werk bei der Uraufführung auch gewidmet wurde.

Fedoseyev war vor allem in den neunziger Jahren bei den Festspielen zum absoluten Publikumsliebling unter den Dirigenten avanciert. Als Chef der Wiener Symphoniker und des Tschaikowsky-Symphonieorchesters Moskau setzte er damals mit Opern und Konzerten deutliche Akzente im Programm des Festivals. Als Weinberg-Spezialist jedoch fühlt sich der heute 78-jährige nicht sehr wohl, trotz seines früheren Naheverhältnisses zu dem 1996 verstorbenen polnisch-russischen Komponisten jüdischer Herkunft.
 

55 lange Minuten

Es ist auch wirklich ein verqueres, schwer zugängliches und sperriges Werk, diese 17. Symphonie, die Weinberg mit dem Untertitel „Erinnerung“ versehen und als  Nachklang auf sein Leben in Angst, Gefangenschaft und Entbehrung gestaltet hat. Als Rückschau nur, bewusst nicht als Abrechnung oder Vergeltung für irgendetwas. Da gibt es einen wehmütigen Kopfsatz, der in der Hauptsache von kleinen Streichermotiven bestimmt ist, einen ausladenden zweiten, in dem ein kantiges Kriegsmotiv an die erlebten Gräueltaten erinnern soll. Der dritte Satz ist ein altbackenes Scherzo, und im vierten drückt Weinberg in strahlendem G-Dur seine Freude über die wiedergewonnene Freiheit aus.    
Alles schön und gut, nur ist es dem Komponisten hier – im Gegensatz zur weit substanzieller gestalteten Musik seiner Oper „Die Passagierin“ – nie gelungen, sich von seinem großen Vorbild und Freund Dmitri Schostakowitsch zu lösen. Sehr vieles trägt dessen Handschrift, ohne dass es auch dessen Qualität erreichen würde. Vor allem fehlt dem Werk die Inspiration, es ist nicht wirklich symphonisch oder gar kontrapunktisch gearbeitet, zieht sich über 55 lange Minuten eher etüdenhaft dahin, ohne wirklich mitzureißen. So hat 1984 niemand mehr komponiert – viersätzige Kolosse in spätromantisch aufgeblähter Orchesterbesetzung waren schon damals längst aus der Mode, auch wenn sich Weinberg (siehe oben) nie um Zeitströmungen oder politische Vorgaben gekümmert hat. Keine Spur also von einem Meisterwerk, dessen Wiederentdeckung sich gelohnt hätte.

Abgeklärtes Meisterwerk Mahlers imponierend präsentiert

Die Umstände der Aufführung sind auch nicht gerade die besten, das Werk ist für die Symphoniker neu, die Probenzeit knapp bemessen, trotzdem soll es davon eine vom ORF produzierte CD-Dokumentation geben. Dies ist auch der Grund, warum Überlegungen, das teils ziemlich ausufernde Werk mit Strichen etwas zu raffen, fallen gelassen wurden: Intendant Pountey bestand auf der ungekürzten Originalfassung. Fedoseyev und das Orchester, das schon in der „Passagierin“ eine exzellente Vorstellung abgeliefert hat, machen das Beste aus der Situation: Sie spielen aus einer gewissen Verunsicherung heraus möglichst auf Sicherheit,  risikoarm und zeigen damit zu wenig für eine wirklich überzeugende Darbietung. Der Applaus bleibt entsprechend bloß höflich.
Knallharter Gegensatz im zweiten Teil mit dem 74 Jahre zuvor entstandenen „Lied von der Erde“ von Jahresregent Gustav Mahler, einem absoluten kompositorischen Meisterwerk, das als Repertoirestück der deutlich verjüngten Wiener Symphoniker auch in der Ausführung imponierend gelingt. Bei diesem abgeklärten Spätwerk mit stark philosophischem Hintergrund zu Texten des Modedichters Hans Bethge nach altchinesischer Lyrik findet dann auch Vladimir Fedoseyev zu seiner gewohnten Form, mit sicheren Einsätzen und weit ausholenden Gesten Mahlers farbenreiche Klangwelt gestaltend. Glanzpunkte kommen von den beiden hervorragenden Solisten. Michelle Breedt, die umwerfende „Lisa“ aus der „Passagierin“, bringt mit ihrem kostbar warmen Mezzo all jene guten Eigenschaften ein, derentwegen man sie seit Jahren bei Liederabenden der Schubertiade liebt. An ihrer Seite der Grazer Nikolai Schukoff, dessen kraftvoll schlankem Tenor man etwas mehr Höhensicherheit wünschen würde. Großer Jubel im voll besetzten Festspielhaus.