Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Thomas Kuschny · 19. Mai 2018 · Musik

Vom Reiz des Hybrids - „A Novel Of Anomaly“ am Spielboden Dornbirn

Eines kann man sagen: „Sortenrein“ ist out! Wenigstens im Kunstbetrieb. Ein gewisser Konservativismus haftet dem Begriff an, natürlich nicht zu Unrecht. Man erinnere sich an die Debatte um Wynton Marsalis, wie und was Jazz sein soll. Schlechte Karten auf dem Markt hat auch derjenige, der mit (womöglich noch figurativen) Ölbildern reüssieren will. Aber das nur nebenbei. Dies soll ja mitnichten eine Verteidigungsrede werden, aber im Zwang zur Innovation, vor allem auch durch das Mischen von allerlei Zutaten, liegt die Gefahr der Beliebigkeit, Kraut und Rüben sozusagen. Wie man bis dato Unerhörtes aber stimmig und ohne jede Effekthascherei kreiert, wissen Andreas Schaerer und Konsorten ganz genau.

Geadelt auch vom Doyen des Genres, Herrn McFerrin, ist Schaerer ein Shootingstar unter den Vokalakrobaten. Der Schweizer ist ein äußerst umtriebiger Mann. Der aktuelle Tourplan verrät: Allein im Juni ist er mit drei verschiedenen Projekten auf drei Kontinenten zu erleben. Daneben findet er offenbar noch Zeit zur Komposition von Streichquartetten oder gar sinfonischen Werken. Seine drei Mitstreiter bei „A Novel Of Anomaly“ sind mit Bedacht gewählt.

Niggli - Biondini - Kalima

Den Schlagzeuger Lucas Niggli kennt man als eifriger Spielbodenbesucher über die Jahre von vielen, übrigens ausnahmslos gelungenen Abenden. Er kann vom feinfühligen Umgang mit Dichte und Dynamik bis zum Berserker alles. (Letzteres in der Band „Steamboat Switzerland“, die in manchen Momenten so manche Death Metal Combo wie ein laues Lüftchen erscheinen lässt - sic!) Auch an diesem Abend beweist er, daß Schlagzeugsoli nicht unbedingt aus länglichen Virtuositäten zu bestehen haben.
Ähnlich macht es der Akkordeonist Luciano Biondini, sein Solo kann man nichts weniger als beseelt nennen, es reißt ihn trotz seines mächtigen Instruments gleich selber vom Stuhl. Auch er ein stupender Techniker, aber immer im Dienste der Sache. Seine kompositorischen Beiträge sind stark italienisch bzw südamerikanisch gefärbt. Eine Ballade erinnert an Soundtracks vergangener Zeiten, Morricone lässt grüßen.
Kalle Kalima, lakonischer Finne wie aus dem Bilderbuch, bedient die Gitarre. Trotz aufwändigem, mächtigem Equipment (sein Instrument ist für tiefere Töne gleichzeitig auch an einen Bassverstärker angeschlossen) legt er seinen Part sehr zurückhaltend an, wenig Effekte, nüchterner Sound. Ein moderner Gitarrist, der sich harmonisch ab und an weit aus dem Fenster wagt, aber nie hinausfällt. Seine Kompositionen sind die schrägsten, können sehr vertrackt sein, am Beginn des deutlich heftigeren zweiten Teils fast zappaesk.

"Stimmakrobat" Andreas Schaerer

Jeweils ein Stück in der Muttersprache der Protagonisten zu singen, kündigt Mastermind Andreas Schaerer an: Das Seinige ist dann eine schlichte Ballade, die ohne eigentliche Sprache auskommt, Lautmalerisches aus den Schweizer Bergen, auf den Punkt gebracht. Mit seiner Stimme komplettiert Schaerer den runden Gesamtsound, und zwar auf unterschiedlichste und teilweise verblüffende Art und Weise. Als Human Beat Box verzahnt mit Nigglis Drums, als Trompetenimitator (ein hervorragendes Solo, um das ihn so mancher Trompeter beneiden würde) oder mit heftigen Schreiattacken. Im letzten, sehr afrikanischen Stück zeigt er dann, warum er die Bezeichnung „Stimmakrobat“ verdient. Hochkomplex vermischt er scheinbar mühelos Harmonisches mit Rhythmischem, man kann kaum glauben, dass nur einer allein derartiges zustande bringt.

Kalle Kalima hat ja über die Kurzlebigkeit vieler seiner Projekte einmal ganz knapp gesagt: „Es ist eine Art darwinistisches System: Was nicht wirklich funktioniert, verschwindet auch im Lauf der Zeit“ - Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass uns dieses Quartett erhalten bleibt!