Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Silvia Thurner · 25. Jul 2016 · Musik

Vitale Gegenpole im Kleinen und im Großen – Das erste Orchesterkonzert bei den Bregenzer Festspielen war ein mitreißendes Erlebnis

Die Wiener Symphoniker mit ihrem Chefdirigenten Philippe Jordan boten einen fulminanten Beginn der Orchesterkonzertreihe bei den Bregenzer Festspielen. Mit Schuberts „Unvollendeter“ und Beethovens siebenter Symphonie bildeten zwei Giganten den Rahmen. Das Orchester war in Hochform und so wurden die Wesenszüge der beiden Symphonien mitreißend herauskristallisiert. Den Mittelpunkt bildeten die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler. Mit ihrer emphatischen Interpretation einer resignierten Liebenden, die sich in eine Traumwelt flüchtet, berührte die Mezzosopranistin Michaela Schuster die Zuhörenden.

Franz Schuberts „Unvollendete“ ist ein viel gespieltes und strapaziertes Werk. Wenn diese Symphonie auf dem Programm steht, ist die Werkdeutung unweigerlich einem Vergleich mit anderen ausgesetzt. Umso spannender war der Interpretationsansatz, den Philippe Jordan und die Wiener Symphoniker dieser Komposition zugrunde legten. Eine intensive Beschäftigung mit der Schubert Musik war vorausgegangen, denn im vergangenen Jahr publizierte das Orchester unter der Leitung ihres Chefdirigenten eine CD mit Schuberts Symphonien Nr. 7 und Nr. 8.

Und tatsächlich öffneten die Wiener Symphoniker mit ihrer Darbietung andere Perspektiven des Hörens. Faszinierend waren die variantenreiche Dynamik und die Pianokultur, mit der die Musikerinnen und Musiker die Hauptthemen und die begleitenden Spielfiguren aus der Stille in den Raum holten und zueinander in Verbindung setzten. Die eher gemäßigte Tempowahl mit zahlreichen Rubati schufen zusätzlichen Freiraum. Doch der Kern der außergewöhnlichen Werkdeutung lag darin, dass Philippe Jordan und die Wiener Symphoniker nicht nur die Linien dynamisch ausführten, sondern die harmonischen Fortschreitungen akzentreich zueinander in Beziehungen stellten und dadurch markante Gewichtungen setzten.

Die Spielart der Wiener Symphoniker führte in gewissem Sinne weg von den Prämissen, mit denen Schubert in der letzten Zeit von Seiten der historisch informierten Aufführungspraxis interpretiert worden ist. Auf jeden Fall lud diese Werkdeutung zum Weiterdenken ein und die Dramatik der „Unvollendeten“ kam hervorragend zur Geltung.

Authentisch zwischen den Welten


Die Mezzosopranistin Michaela Schuster verkörperte die unglücklich Verliebte in den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ mit Haut und Haaren. Ihr dunkles Timbre in den tiefen Lagen, der klagende Tonfall, die dynamischen Schattierungen sowie eine verhaltene Resignation und vor allem die Hinführung zu einer somnambulen zweideutigen Welt, in der sich Traum und Wirklichkeit begegneten, zog die Zuhörenden in ihren Bann. Die Wiener Symphoniker gestalteten dazu den farbenreichen Orchesterpart transparent aus, so dass die psychologische Erfahrungsebene des Gesangsparts plastisch unterstrichen und gedeutet wurde.

Die Kraft des Rhythmischen


Einen energiegeladenen Gegenpol zu Schuberts Dramatik und Mahlers Zwiespalt zwischen Traum und Realität stellte Beethovens siebente Symphonie dar. Die exakt aufeinander abgestimmten Stimmgruppen, die auch in kleinsten Floskeln in einer guten Korrespondenz zueinander standen, bildeten den Ausgangspunkt für diese spannungsgeladene Werkdeutung. Die großen Themenbögen etablierten sich aus raffiniert zueinander in Verbindung gestellten rhythmischen Mustern, die eine große energetische Kraft freisetzten. Auf diese Weise entwickelten die Musiker einen mitreißenden musikalischen Fluss. Der Drive wurde noch verstärkt, wenn durch die vitale Spielart der Symphoniker die Bogengeräusche perkussive Qualitäten annahmen. Klar, dass nach so viel geballter Orchesterkraft, das Publikum vor Begeisterung tobte.