Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 28. Jul 2015 · Musik

Unheimliche Virtuosität, Spielfreude und Ernüchterung – Ein Wechselbad der Gefühle beim ersten Orchesterkonzert

Das erste Orchesterkonzert bei den Bregenzer Festspielen brachte frenetischen Jubel für den französischen Cellisten Jérôme Pernoo, der Offenbachs Cellokonzert atemberaubend interpretierte. Begeisterte Zustimmung erhielt auch der Dirigent James Gaffigan. Er leitete die Wiener Symphoniker mit energiegeladenem Temperament und ausdrucksstarker Gestik. Auf Unverständnis stieß das eher unterkühlt dargebotene Orchesterwerk „No Night No Land No Sky“ von Miroslav Srnka.

Jérôme Pernoo hatte bereits am Vorabend des Orchesterkonzertes bei „Musik und Poesie“ begeistert. Umso größer war die Erwartungshaltung diesen ausnehmend musikalischen und sympathischen Musiker als Solisten des „Grand Concerto für Violoncello und Orchester Concerto militaire“ von Jacques Offenbach zu hören. Auch der kompositorische Vergleich zwischen Offenbachs Kammermusik und diesem großen Orchesterwerk war spannend, denn die Raffinesse des Kompositionsstils kam in diesem Werk nochmals zum Tragen, wie beispielsweise der sprühende Humor in vielerlei Motiv- und Themengestalten, überraschende Wendungen sowie der ausgeprägte Sinn für theatralische Momente.

Atemberaubende Interpretationskraft


Jacques Offenbach selbst war ein hervorragender Cellist und dies ist in vielen Zügen des Cellokonzertes unmittelbar nachvollziehbar. Vor allem die ausgeprägte Vorliebe für hohe und höchste Lagen stellen enorme Ansprüche an den Solisten. Jérôme Pernoo besitzt nicht nur die Persönlichkeit für diese Musik, sondern auch eine bewundernswert souveräne Spieltechnik. Wie er über das Griffbrett fegte, es in chromatischen Schüben „schrubbte“, atemberaubende Mehrfachgriffe spielte und dazu den Bogen über die Saiten tanzen ließ, als wäre dies das Selbstverständlichste dieser Welt, versetzte die Zuhörenden in Staunen. So wirkte das Cellokonzert kurzweilig, bestach durch eine Fülle an tänzerischen, elegischen, aufbrausenden und marschähnlichen Themengestalten, die allesamt ausdrucksstark, ihren Charakteren entsprechend gefärbt und phrasiert erklangen.

Mit Genuss offerierte Jérôme Pernoo überraschende Momente und er hatte eine helle Freude an der Zwiesprache mit den Orchestermusikern, die er in vielgestaltigen musikalischen Wechselspielen herausforderte. Die Wiener Symphoniker waren dem Solisten ein guter Partner, folgten jedoch den musikalischen Gesten, die ihnen der Solist im Eröffnungssatz zuspielte, teilweise etwas zögerlich. Frenetisch jubelte das Publkum nach dieser erfrischenden Werkdeutung.

Mit Freude erwartete ich die österreichische Erstaufführung von „No Night No Land No Sky“ für Kammerorchester des tschechischen Komponisten Miroslav Srnka. Seine Werke werden international von den besten Ensembles für zeitgenössische Musik gespielt. Anfang des nächsten Jahres wird Kirill Petrenko die Uraufführung der Oper „South Pole“ an der Bayerischen Staatsoper in München leiten.

„No Night No land No Sky“ wurde 2014 in Prag uraufgeführt und war erstmals in Österreich zu hören. Aus welchem Grund gerade dieses Werk auf das Programm gesetzt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Srnka hatte eine Klanglandschaft entworfen, die in zeitlichen Dehnungen und Stauchungen, von Liegetönen ausgehend den musikalischen Fluss in vielerlei Klangfarbenkonstellationen verdichtete und in Tonballungen kulminieren ließ.

Kein abgerundetes Ganze


Eine wesentliche Grundvoraussetzung, dass die Töne im Zusammenklang ihre Qualitäten voll entfalten, besteht darin, diese transparent und gut „durchhörbar“ in den Raum zu stellen. Erst dadurch kristallisieren sich die typischen Obertonstrukturen und der zu den Zielpunkten driftende Energiefluss ein. Leider versagte die Werkdeutung der Wiener Symphoniker in dieser Hinsicht, denn die Musik entwickelte wenig Schubkraft. Schwebungen, Reibungen, aufgeraute Klangoberflächen und verzahnte Klangereignisse tönten teilweise an, wirkten jedoch zu wenig prägnant und griffig. Die Musik von Miroslav Srnka benötigt entweder Musikerinnen und Musiker mit spieltechnischen Erfahrungen im Bereich der zeitgenössischen Musik, wahrscheinlich mehr (Proben)Zeit oder mehr Enthusiasmus in der Ausführung.

Sandwichprogramme dieser Art schüren Vorurteile und dienen niemandem. Prekär ist dies in Vorarlberg, weil das Publikum im Konzertsaal höchst selten avancierte zeitgenössische Orchesterwerke erleben kann. Hörerfahrungen und Vergleichsmöglichkeiten fehlen weitgehend.

Mit Freude und Esprit


Den bei Srnka vermissten Enthusiasmus legten die Wiener Symphoniker und der Dirigent James Gaffigan in die Werkdeutung der vierten Symphonie, op. 90 von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Das quirlige Hauptthema im ersten Satz erklang mit sprühendem Elan, ein zügiges Andante brachte den Ausdrucksgehalt der Musik hervorragend zur Geltung, stimmige Hornpassagen blieben aus dem dritten Satz besonders in Erinnerung. Die Kraft des wirbelnden Saltarello im Finale entwickelte das Orchester unter anderem aus einer ausgewogenen Pianokultur und homogenen Stimmenbalance heraus.