Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Silvia Thurner · 20. Aug 2015 · Musik

Unglaubliches fantasiereich zum Klingen gebracht – Peter Eötvös’ „Der goldene Drache" erfolgreich bei den Bregenzer Festspielen

Im vergangenen Jahr wurde in Frankfurt das Musiktheater „Der goldene Drache“ von Peter Eötvös mit großem Erfolg uraufgeführt. Dies veranlasste Elisabeth Sobotka, das Werk auch in Bregenz zu zeigen. In gleicher Besetzung und Regie feierte „Der goldene Drache“ auf der Werkstattbühne als österreichische Erstaufführung Premiere. Die Sänger-Schauspieler Kateryna Kasper, Hedwig Fassbender, Simon Bode, Holger Falk und Hans-Jürgen Lazar sowie das „ensemble modern“ unter der Leitung von Hartmut Keil trugen das vielschichtige Werk mit einer durchdringenden Darstellungskraft. Das hochaktuelle Thema, in dem das Schicksal illegaler Einwanderer und ihr Ausgeliefertsein eindrücklich erlebbar wurden, entließ das Publikum in einer beklemmenden Stimmung.

Peter Eötvös ist begeistert vom Theater und seine Wurzeln liegen dort. In Budapest und Wien erlebte er das Theaterstück „Der goldene Drache“ von Roland Schimmelpfennig. Das vielschichtige Drama, angesiedelt zwischen Groteske, Parabel und epischem Theater regte die Fantasie des Komponisten an. Er fertigte ein für ihn passendes Libretto an und komponierte im Auftrag des „ensemble modern“ ein Musiktheater, das in Koproduktion mit der Oper Frankfurt erstmals aufgeführt worden ist. Den Sängern schrieb Eötvös während eines intensiven Entstehungsprozesses ihre Rollen auf den Leib. Das Regiekonzept entwickelte die Regisseurin Elisabeth Stöppler als anschauliches und von der Situation geprägtes Theater in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten. Genau so ist auch die Musik angelegt. Sie versinnbildlicht, illustriert und interpretiert die stattfindenden Handlungsverläufe, drängt sich nie in den Vordergrund, ist aber genau dadurch sehr präsent.

Realität und Parabel


„Der goldene Drache“ spielt in einem engen China-Schnellimbissrestaurant. Gar nicht realitätsfern zeigt die Handlung die prekäre Situation auf, in die gegenwärtig viele Menschen gezwungen werden. Es geht um illegal Beschäftigte, die ohne Rechte und Ansprüche auskommen müssen und oft dafür mit ihrem Leben bezahlen. So auch „Der Kleine“, der Zahnschmerzen hat. Es ist undenkbar einen Arzt aufzusuchen. Die vermeintliche Hilfe der Kollegen endet für den kleinen Chinesen - der hier sein Glück und seine Schwester finden wollte - tödlich. In diese drastische Geschichte ist unter anderem auch die Parabel von der Grille und der Ameise passend eingewoben. Die Ameise hat für den Winter vorgesorgt, während die Grille den Sommer dem Gesang gewidmet hat. Im Winter bittet sie die Ameise um Hilfe und gerät dadurch in ihre Abhängigkeit und schließlich in die Prostitution.

Bunt, fantasiereich, turbulent, mit zahlreichen witzigen Pointen und absurden Elementen versehen, entwickeln sich die Handlungsverläufe der turbulenten Geschichte. Die fünf Sängerinnen und Sänger Kateryna Kasper, Hedwig Fassbender, Simon Bode, Holger Falk und Hans-Jürgen Lazar verkörpern dabei achtzehn unterschiedliche Rollen. Mit welcher Konsequenz und spontanen Spielfreude sie in diese schlüpfen und mit ganzer Hingabe auch musikalisch ausfüllen, verdient höchste Bewunderung.

Zwingend textdeutlich


Ein guter Schachzug war es, die Regieanweisungen von den Protagonisten vortragen zu lassen. So war es leicht, den verschachtelten Handlungssträngen zu folgen und Beziehungen zwischen den Abschnitten herzustellen. Zusätzlich unterstrichen wurde der Zusammenhang durch die musikalische Gestaltung der Gesangsparts. Eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis des Stückes war die absolute Textdeutlichkeit, mit der die Sänger ihre Partien darzustellen hatten. Deshalb wurden alle Stimmen unaufdringlich elektronisch verstärkt.

Dienender und selbstbewusster Musikpart


Peter Eötvös komponierte die Musik mit viel Bedacht auf den Einsatz der Klangfarben. Schubartige Klänge, fein ziselierende Motivfragmente und punktgenau gesetzte Akzente unterstrichen den Sprachfluss. Das „ensemble modern“ musizierte unter der Leitung von Hartmut Keil mit solistisch besetzten Streichern, Holz- und Blechbläsern sowie einem großen Perkussionsapparat höchst professionell und exakt. Im Hinblick auf die Klangfarbenvielfalt schöpften die Musiker aus dem Vollen. So vielseitig im Einsatz und in der Kombination, versehen mit unzähligen spieltechnischen Feinheiten, habe ich selten eine Komposition erlebt. Bedeutend dabei war, dass Geräusch und Klang sehr stringent konzipiert waren und nie dem Selbstzweck dienend oder gar effekthaschend erklangen.

In einem langsamen Wandlungsprozess transformierte Peter Eötvös den musikalischen Fluss im Verlauf des Stückes. Zuerst standen geräuschhafte Mittel, illustrierende und akzentuierende Passagen im Vordergrund. Doch vor allem mit den Auftritten der Grille erhielt auch der melodische Anteil immer mehr Bedeutung. Schließlich mündete die Musik in einem fast oratorienhaften Zusammenwirken, chromatisch angelegte Instrumental- und Gesangslinien sowie irisierende Liegetöne veränderten den musikalischen Ausdrucksgehalt. Dies zielte zum großen Schlussmonolog der Sopranistin Kateryna Kasper, die mit ihrer klar geführten Stimme die Zuhörenden in ihren Bann zog.

Wiederaufführungen machen Sinn


Das Bühnenbild von Hermann Feuchter mit dem großen, dominierenden Drachen, dessen Farbe die emotionale Stimmung während des Stückes unterstrich, die Kostüme von Nicole Pleuler und die Klangregie von Norbert Ommer ergänzten den positiven Gesamteindruck.

Gut und legitim von den Bregenzer Festspielen war der „Einkauf“ dieses erfolgreichen Stückes aus Frankfurt, denn Koproduktionen und Wiederaufnahmen nutzen Synergien. In Verbindung mit eigenen Produktionen – Kompositionsaufträge an Thomas Larcher und Jesses Seglias wurden vergeben – macht die Wiederaufführung von andernorts erfolgreich präsentierten neuen Musiktheaterproduktionen bei den Bregenzer Festspielen Sinn.

 

Information
Die zweite Vorstellung am 21. August ist bereits ausverkauft.