Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Peter Füssl · 07. Sep 2012 · Musik

Stimmgewaltige Zauberfee – die faröische Singersongwriterin Eivør begeisterte in St. Gallen

Das Konzert in der St. Galler Grabenhalle fängt mit einem Bilderbuchauftritt an: in einen rohweißen Traum aus Spitzen gehüllt, wirkungsvoll mit Perlenketten behängt, den blassen Teint von langen blonden Haaren umrahmt, huscht Eivør bloßfüßig auf die Bühne und intoniert, sich selbst auf der Sansula, einer Art Daumenklavier begleitend, einen Song ihres neuen Albums „room“. Mit einem guten Dutzend Eigenkompositionen entführt die faröische Zauberfee das Publikum in ihre berückenden Soundlandschaften, in denen in höchste Höhen führende ätherische Gesänge neben tiefen schamanistischen Kehllauten, zartes akustisches Fingerpicking neben grungiger E-Gitarre und wummerndem Bass stehen.

Stimme mit extrem hohem Gänsehautfaktor


Die 29-jährige Eivør entzieht sich elegant jeglicher Schubladisierung. Das von wohl etwas hilflosen Kritikern bemühte Etikett einer „faröischen Björk“ greift viel zu kurz, und wenn sich manchmal Erinnerungen an Kate Bush oder Mari Boine einschleichen, sind das zwar nicht unbedingt ehrenrührige Vergleichsgrößen, sie vermögen das Phänomen in seiner Gesamtheit aber auch nicht zu erfassen. Eivørs größter Schatz ist zuallererst einmal ihre unglaublich wandlungsfähige Sopranstimme mit einem gewaltigen Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten, noch in höchsten Höhenlagen kraftvoll und niemals in esoterisches Gesäusel abdriftend. Mit ihrer Stimme kann sie aber auch kehlige Laute aus tiefsten Tiefen schöpfen und archaisch anmutende, nur auf der Rahmentrommel begleitete Schamanengesänge anstimmen. Ob glockenklar oder roh und erdgebunden - ein extrem hoher Gänsehautfaktor ist auf jeden Fall garantiert.

Große stilistische Bandbreite


Stilistisch spannt Eivør einen breiten Bogen von der traditionellen nordischen Musik über Folk und Pop bis zu dezent eingesetzter, aber wirkungsvoller Elektronik. Während sie auf der akustischen Gitarre im traditionellen Rahmen bleibt, verblüfft sie auf der E-Gitarre mit teils ziemlich unkonventionellen Stimmungen, die zusammen mit ihrer berückenden Stimme ganz außergewöhnliche Soundlandschaften ergeben. Die Basstrommel bedient sie nebenbei mit dem Fuß, und wenn dann noch Mikael Blak zum Bass greift oder ans Keyboard geht, kann es mitunter auch ganz schön handfest zugehen. Ein knarziger Bass zu jubilierenden Engelschören – welch ein wunderbarer Kontrast.

Handfeste Zauberfee


Die charmante Eivør versteht es, das Publikum vom ersten Augenblick an in ihren Bann zu ziehen. Sie erzählt amüsante Geschichtchen zu ihren Songs, die von den zentralen Singersongwriter-Themen Liebesfreud, Liebesleid, Sehnsucht, Trauer, Tod und Hoffnung handeln, oder zeigt sich begeistert vom gerade eben kennengelernten Schweizer Nationalgericht Raclette, das sie in den Speiseplan der Faröer Inseln einführen wolle. Sie steht buchstäblich mitten im Publikum – auf der niedrigen Bühne der kleinen Grabenhalle ganz besonders. Eine durchaus handfeste Zauberfee. Der intime Charakter dieses Konzertabends verzauberte alle Anwesenden, und als Eivør als allerletzte Zugabe und als einzige Fremdkomposition des Abends ausgerechnet die sentimentale, mittlerweile längst zum Jazzstandard mutierte Nachkriegs-Ballade „Nature Boy“ anstimmte, wären selbst die legendären Wegbereiter dieses Songs Nat King Cole und Frank Sinatra dahingeschmolzen.

Konzerttipp:
8.9., 15 Uhr, Musik Hug, St. Gallen (Showcase)
8.9., 21 Uhr, Kulturhaus Rose Stein (www.kulturhausrose.ch)