Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Thorsten Bayer · 07. Jul 2011 · Musik

Songs als vielschichtige Gesamtkunstwerke und ein Derwisch am Mikrofon: Die belgischen Rocker dEUS beim Poolbar-Festival

Auch das macht den Reiz der Poolbar aus: Das Wetter ist gut, der Abend lau, das Publikum tiefenentspannt: Während die erste von zwei Vorbands schon die Halle beschallt, bleibt das Gros der Besucher noch mit Freunden und kühlen Getränken auf der Wiese vor dem Alten Hallenbad. Da kann sich Mile Me Deaf noch so mühen; bei dieser spärlichen Kulisse springt einfach kein Funke über. Kein Problem: Die Band aus der Steiermark nimmt es ebenso locker wie das Publikum. Im Laufe des Abends steigt aber die Fieberkurve erheblich – vor allem dank eines fulminanten Auftrittes von dEUS.

Schon beim zweiten Support Act des Abends füllt sich die Halle merklich – und das völlig zu Recht. Balthazar nimmt das Publikum schnell gefangen. Ihr ständig anschwellendes Klanggewitter aus Synthesizern, wummerndem Bass und der dunklen Stimme des Sängers weckt Erinnerung an Dark-Wave-Bands aus den 80ern. Nur dass diese junge belgische Band ihre Melancholie mit einem gewaltigen Wumms transportiert: Eine Band, die noch von sich reden machen könnte.

Ruhiger Auftakt täuscht

Der Headliner des Abends hat bereits für viel Aufsehen gesorgt; und das seit nunmehr zwanzig Jahren. Der Band aus Antwerpen eilt der Ruf des Kritikerlieblings und Geheimtipps voraus, seit sie Mitte der neunziger Jahre mit ihrem progressiven Gitarrenrock ins Rampenlicht traten. Live wird schnell klar, warum: Kaum hat Tom Barman die Bühne gegen 23 Uhr betreten, ist er auch kaum mehr zu halten.

Der Gründer, Sänger und Gitarrist gibt die Kommandos, tänzelt um sein Mikrophon; schäumt über vor Spielfreude. Die seriöse Kleidung – weißes Hemd und dunkle Weste – und die nur anfänglich ruhigen Klängen haben zunächst auf ein ruhiges Konzert gesetzter Herren gedeutet. Aber weit gefehlt: Nach wenigen Minuten schon der erste, druckvolle Höhepunkt: „The Architect“ vom 2008er-Album „Vantage Point“. Da tropft nicht nur Bassist Alan Gevaert der Schweiß.

Virtuose Musiker

Anders als Barman macht Klaas Janzoons am linken Bühnenrand deutlich weniger Aufhebens um seinen Auftritt; auch wenn er gefühlt alle zwei Minuten zu einem anderen Instrument greift und unter anderem Violine, Mandoline, Keyboard und Tambourin bedient. Die schwierigste Aufgabe in dieser Band hat wahrscheinlich Drummer Stephane Misseghers, der vor einigen Jahren von Soulwax zu dEUS gestoßen ist. Bei diesen komplexen Songs mit unzähligen Breaks nicht mit den Rhythmen durcheinander zu kommen, ist alles andere als einfach: Doch Misseghers meistert seine Aufgabe zurückhaltend, aber furios.

Engagement gegen Rechts

Den Stil von dEUS trennscharf zu benennen, fällt schwer. Experten erkennen neben der rockigen Grundausrichtung Elemente von Neo-Folk, Jazz und Noise – auf dem letzten Album auch Funk und Synthiepop. Barman ist diese Diskussion einerlei. „Nennt es, wie ihr wollt, aber bitte nicht Britpop“, hat er einmal in einem Interview gesagt. Andere Themen brennen dem 39-Jährigen offenbar stärker unter den Nägeln. Seine Heimatstadt Antwerpen ist eine Hochburg der rechten Partei Vlaams Belang. 2006 hat er ein deutliches Zeichen gesetzt und ein landesweites Festival gegen Rassismus und Toleranz organisiert. Dabei kamen so illustre belgische Künstler wie Zita Swoon, Hooverphonic und Plastic Bertrand zusammen – und sogar auch Helmut Lotti. Für dieses Engagement wurde er mit dem Preis der Demokratie geehrt.

Energiegeladener Abend mit Nachhall

Die langjährigen Fans im Publikum erkennt man am kurzen Aufschrei zu Beginn eines neuen Songs – sofern es sich um „altes Material“ handelt. Mag sein, dass die Band zuletzt etwas von ihrer avantgardistischen Ausrichtung eingebüßt hat und mittlerweile konventionelleren, gewöhnlicheren Rock spielt. Aber auch der hat es in sich und zeigt sich um einiges vielschichtiger als manche Konkurrenz. Das ist sicher keine Musik zum Mitklatschen, aber zum Sich-Hingeben.

Das Publikum nickt mit den Köpfen, wilde Tänzer gibt es aber nur auf der Bühne – in Person des unermüdlichen Frontmannes. „You're very civilized“, ruft Barman seinen Zuhörern zu, „maybe too civilized“. Doch da weiß er Abhilfe: Es folgt zum Ende des regulären Sets „Suds And Soda“ – der Hit vom Debütalbum „Worst Case Scenario“ aus dem Jahr 1994. Ein weiterer Höhepunkt und würdiger Abschluss eines energiegeladenen Abends, der noch einige Zeit nachhallt