Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Fritz Jurmann · 20. Jul 2016 · Musik

So wie damals, als die Festspiele laufen lernten - Reizendes Mozart-Singspiel im Bregenzer Gondelhafen

Tout Bregenz samt aller erdenkbaren Prominenz war am Dienstagabend auf den Beinen, versammelte sich einmütig rund um den Gondelhafen. Wer Glück hatte, ergatterte noch einen Liegestuhl oder eine Bierbank, Hunderte mussten stehen. Ausgezahlt hat sich das Dabeisein auf jeden Fall, ging es doch um den inoffiziellen Auftakt zu den diesjährigen Jubiläums-Festspielen, wie man ihn in dieser Form noch nicht erlebt hat.

Intendantin Elisabeth Sobotka hatte die wunderbare Idee, an diesem Originalschauplatz am Bregenzer Gondelhafen, in einer Festspielzeitung lustigerweise „Tretboothafen“ genannt, das erste Spiel auf dem See im Gründungsjahr 1946 mit Mozarts Singspiel „Bastien und Bastienne“ nachzustellen, als eine Art Volksfest bei freiem Eintritt für die Bevölkerung. Der Zuspruch war nicht nur des traumhaften Sommerabends wegen so groß, sondern auch weil viele damit wohl symbolisch ihre Verbundenheit mit „ihren“ Festspielen dokumentieren wollten, die in 70 Jahren zu einem kulturellen Großereignis von internationalem Format gewachsen sind.

Nach historischen Vorgaben


Die aktuelle Festspiel-Ausstellung im vorarlberg museum und die dazu erschienene Broschüre zur Festspielgeschichte belegen, dass man für diese Aufführung im Gondelhafen einst nicht die Wiener Symphoniker wählte, die damals „nur“ zwei Orchesterkonzerte spielten, sondern das Vorarlberger Funkorchester. Jene Formation also, die beherzte musikbegeisterte Bürger bereits im November 1945 am Sender Dornbirn quasi aus dem Boden gestampft hatten. Es bestand, wie Wolfgang Burtscher am Montag in seinem VN-Kommentar betont, großteils aus zugewanderten Berufsmusikern, Flüchtlingen also, die von den Kriegswirren meist aus Wien oder aus Deutschland nach Vorarlberg verschlagen worden waren. Inklusive dem Dirigenten Hans Moltkau, aus Magdeburg gebürtig, den man vom Tiroler Landestheater in Innsbruck abgeworben hatte. Bei der Seepremiere in Bregenz stand allerdings nicht er am Pult, sondern der damals bereits namhafte Innsbrucker Dirigent Otmar Suitner.

Diese Aufgabe wird nun, 70 Jahre später, logischerweise dem Symphonieorchester Vorarlberg übertragen, das nach der Auflösung des Funkorchesters 1959 nach einem langen Interregnum 1985 quasi dessen Nachfolge angetreten hat. Am Pult steht auch hier nicht der Chef des SOV, Gérard Korsten, sondern als Gast der attraktive junge kanadische Maestro Jodran de Souza, der erfolgreich um ein engagiertes Miteinander bemüht ist. Aus den zwei Kieskähnen von damals, die als Bühne und Orchestergraben dienten, ist ein einziger namens „Jakob“ geworden, und auch die Kommunikationsmittel sind heute ganz andere als damals. Belustigt liest man im Programm der Festwoche Bregenz 1946, dass eine Verlegung der Vorstellung am 5. August wegen Schlechtwetters in die Sporthalle „durch Böllerschüsse und Radiomeldung“ bekanntgegeben würde …

Möglichst authentisch


Aber ansonsten hat man sich mit viel Liebe und großem Gespür bemüht, möglichst authentisch die Szenerie von damals mit einfachen stilisierten Aufbauten nachzuempfinden, davor das Orchester drapiert und die drei Protagonisten in knallbunte Kostüme gesteckt, die auch die in der französischen Opéra comique liegenden Ursprünge dieses Singspiels andeuten (Szene und Ausstattung: Steven Whiting und Florian Kradolfer). In diesem Bestreben ist man auch ein durchaus mutiges Experiment eingegangen, so wie 1946 ohne jede technische Verstärkung singen und musizieren zu lassen, weil man damals einfach vermutlich weder die finanziellen noch die technischen Mittel dafür zur Verfügung hatte. „Der See trägt“ hat es damals in den Anfangsjahren geheißen, wenn man etwa 1948 bei der ersten „Nacht in Venedig“ bei gutem Wind und Wetter Helge Rosvaenges Tenor mit seinem „Ho-a-ho“ bis hinauf in die Oberstadt hörte.

Es ist diesmal nicht anders. „Unplugged“ gewissermaßen kommen die Klänge auf diese Weise in großer Natürlichkeit und Unverfälschtheit zu den Zuhörern. Es ist zwar nicht jedes Wort verständlich und das Orchester sehr präsent und engagiert, ab und zu aber auch etwas laut. Doch der windstille Abend und die Disziplin des Publikums, das gebannt dieser Aufführung lauscht, tun ein Übriges, um die besondere Spannung und die intime Stimmung dieser „Gedenkstunde“ wachzuhalten.

Mit viel Spielwitz


Der Einsatz aller Beteiligten, die sich nach Kräften bemühen, ist bewundernswert, auch wenn das Ergebnis unter diesen besonderen Umständen nicht dem Niveau einer mit heutigen technischen Mitteln aufbereiteten Produktion entspricht. Aber darum geht es hier auch gar nicht, und so gelten auch bei der fachlichen Beurteilung einfach andere Maßstäbe. Man ergötzt sich spitzbübisch an der übermütigen Spielfreude und den schönen und, in diesem Fall besonders wichtig, auch kräftigen Stimmen der drei jungen Mitglieder des Opernstudios der Festspiele, die hier für den 15. August als diesjährige Produktion Mozarts „Don Giovanni“ vorbereiten: der Tenor Paul Schweinester als Bastien, die Sopranistin Anna El-Khashem als Bastienne und der Bass Dominic Barberi als Colas.

Das harmlose, in Eifersucht und Trennung ausartende Liebesgeplänkel des Schäferpaares ist mit vielen witzigen Regiedetails ausgestattet wie der pannenreichen Ankunft Bastiens mit einem Motorboot oder dem  eigenartigen „Zauberer“, der die Bande zwischen beiden praktischerweise als Therapeut und Pfarrer wieder kittet und mit einer Sofortbildkamera hinterher auch gleich das Hochzeitsfoto und manches Selfie schießt. Schließlich muss auch Turandot von der nahen Seebühne noch als Nebenbuhlerin herhalten …

Das frühe Genie Mozart


Der junge Mozart hat für das 1768 in Wien uraufgeführte Stück eine schlichte Abfolge von 14 kurzen Musiknummern, hauptsächlich Sologesänge, ersonnen, die seine spätere Genialität bereits durchschimmern lassen und die man jedenfalls einem Zwölfjährigen nie zutrauen würde. Sie sind im volkstümlich schlichten Liedstil des süddeutschen Singspiels mit buffonesken Einschüben gehalten. Ein kurioser Zufall will es, dass das Thema der Ouvertüre frappante Ähnlichkeit ausgerechnet mit dem gewaltigen Thema von Beethovens 35 Jahre später entstandener „Eroica“ zeigt.

Dass das Feuerwerk am Schluss zu früh gezündet wird und damit das Finale der Oper akustisch überdeckt, ist eine lässliche Sünde. Immerhin wird auch damit daran erinnert, dass es in der Bär-Ära unverzeihlich gewesen wäre, eine Operette ohne das unvermeidliche Raketenspektakel zu beschließen. Heute gibt es Gott sei Dank weit subtilere Mittel für das Finale einer Seeaufführung. Die tapfere und seetüchtige Mannschaft von „Bastien und Bastienne“ badet sich genüsslich im minutenlangen Schlussjubel.

 

Weitere Programmdetails: www.bregenzerfestspiele.com