"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Fritz Jurmann · 09. Dez 2013 · Musik

Skelettierter Wagner legt Strukturen frei – Das Ensemble „Wahnsang“ im vorarlbergmuseum

Gerade noch rechtzeitig vor Ende des „Wagner-Jahres“ 2013 zum 200. Geburtstag präsentierte das vorarlbergmuseum gemeinsam mit dem Richard-Wagner-Verband Vorarlberg in einer Matinee am Sonntag eine spannende Collage über den Vieldiskutierten. Während das Innsbrucker Ensemble „Wahnsang“ die im Original opulent orchestrierten Opernthemen auf eine vierköpfige Kammerbesetzung reduzierte, entwarf Kurt Sternik als Sprecher in einem Text von Burghard Braun ein ebenso kompaktes wie vielschichtig amüsantes Bild von Charakter, Leben und Werk dieses Komponisten.

Auch eingefleischte Wagnerianer entdecken in der Biografie ihres Idols immer wieder Neues, das Anlass zum Kopfschütteln, Erstaunen oder Schmunzeln gibt. Solche Dinge hat Burghard Braun zusammengetragen, heute schmerzlich vermisster früherer Schauspieler und Dramaturg am Landestheater (Bettina Barnay in ihrer Einmoderation) und selber ein glühender Verehrer des Bayreuther Meisters. Man hat selten eine so kompakte, fachkundige und dabei gar nicht lehrhafte Zusammenfassung der wichtigsten Daten und Fakten rund um Wagners Leben und dessen Folgen vernommen wie diese. In Briefzitaten, Anekdoten, Kritiken und klugen Beobachtungen wird Authentisches aufgelistet, dabei keinerlei Heldenverehrung betrieben, sondern auch Unangenehmes wie die braune Vergangenheit der Bayreuther Festspiele aufgezeigt und deren aktuelle Entwicklung bis in die Gegenwart beleuchtet.

Wagner-Biografie mit Augenzwinkern


Der Schauspieler Kurt Sternik gibt diesem Text, den man gedruckt veröffentlichen sollte, die subtile Gewichtung und das oft notwendige Augenzwinkern mit auf den Weg. Bemerkenswert etwa die Tatsache, dass die geplante Einstudierung von Wagners Oper „Tristan und Isolde“ in Wien nach 77 Proben als unaufführbar abgebrochen wurde und dafür die Parodie mit dem Titel „Tristanderl und Süßholde“ noch vor der Premiere auf dem Spielplan erschien. Angeblich wurde über Wagner so viel geschrieben wie über Jesus Christus oder Napoleon. Wagner galt als Egozentriker, dessen antisemitische Schriften bis heute umstritten sind, andererseits als genialer Visionär und trotz seiner Größe von nur 1,52 Metern und seinem näselnden Sächsisch auch als Liebling der Frauen, der neben seinen beiden Ehen mit Minna und Cosima stets zahlreiche Liebschaften unterhielt.

Dieser Text ist der rote Faden, der bei bestimmten Stationen Halt und dem Ensemble mit dem schönen Namen „Wahnsang“ Platz macht. Richard Wagner selbst ist der Kern dieser Wortschöpfung zu danken, als er an seine Villa in Bayreuth schrieb „Hier wo mein Wähnen Frieden fand – Wahnfried sei dieses Haus von mir benannt.“ Das an der Innsbrucker Akademie St. Blasius beheimatete Ensemble folgt mit seinem Programm „Große Oper im kleinen Salon“ einer musikalischen Tradition, die im 19. Jahrhundert beim Bürgertum großgeschrieben wurde.

Stipendium des Wagner-Verbandes öffnete den Weg


Konkret hat die Ex-Gattin von „Ensemble plus“-Chef Andreas Ticozzi, die Bratschistin Martha Kneringer, die heute in Innsbruck lebt, diese Idee aufgegriffen und Werke Wagners für dieses Ensemble bearbeitet. Den Anstoß dazu erhielt sie durch ein Stipendium des Richard-Wagner-Verbandes Vorarlberg, das ihr 2005 den Besuch dreier großer Wagner-Opern in Bayreuth ermöglichte. Seither befasste sie sich intensiv mit diesem Genre, begann auch das Innenleben, die vielfachen philosophischen Verflechtungen und Hintergründe dieser Musik zu erforschen und lotete Möglichkeiten aus, die Strukturen dieser Kompositionen durch eine Art Skelettierung auf das absolut Notwendigste freizulegen.

Das ist ihr, wie das Konzert am Sonntag zeigt, auf faszinierende Weise gelungen. Eine Reihe von Wagners populärsten Themen und Werken sind hier von allem Bombast und Ballast eines 120 Musiker starken Orchesters befreit, klingen irgendwie neu und anders, abgeschlankt auf die Besetzung des Ensembles „Wahnsang“ mit Stephan Moosmann, Klarinette, Martha Kneringer, Viola, Harald Pröckl, Akkordeon, und Karlheinz Siessl, Tuba.

Der sinnliche Reiz des „Tristan“-Akkordes


Und man erlebt, wie der berühmte „Tristan“-Akkord gleich zu Beginn auch in dieser Fassung seinen sinnlichen Reiz entfaltet, wie die „Meistersinger von Nürnberg“ wichtigtuerisch daherkommen, zu denen Kurt Sternik am Schluss noch das Triangel schlägt. Wie die Klarinette im Pilgerchor aus „Tannhäuser“ die berühmten Wagner-Triolen der Geigen imitiert oder der Beginn des „Lohengrin“-Vorspiels auch hier jene schimmernde Transparenz entfaltet, wie man sie sonst von einem Wald von hohen Streichern im Orchestergraben zu hören gewohnt ist. Das „Lied an den Abendstern“ wird melodramatisch rezitiert, mit „Isoldes Liebestod“ schließt sich der Bogen dieser knapp 90 intensiven Wagner-Minuten.

Der Vormittag wäre perfekt gewesen, wenn sich die Musiker um eine etwas präzisere, ausgefeilte Wiedergabe bemüht hätten. An ihrem Engagement fehlt es keinesfalls, vermutlich aber am nötigen Probenaufwand und auch am Mut, zu diesen eigenwilligen Bearbeitungen zu stehen, sie mit dem erforderlichen Selbstbewusstsein auszustatten. Die Tuba ist ständig zu laut und oft zu spät, die Bratsche zu zögernd leise, die Klarinette bekommt mit zunehmender Raumtemperatur Intonationsprobleme, das Akkordeon leistet sich einige Fehlgriffe. So summieren sich viele kleine Unsicherheiten und verwackelte Einsätze und trüben den insgesamt sehr positiven Eindruck dieser Matinee. Schade drum!

 

Hörfunkwiedergabe: Sonntag, 29. Dezember, 20.05 Uhr, Radio Vorarlberg