Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Fritz Jurmann · 14. Aug 2018 · Musik

Rossinis „Barbier von Sevilla“ bei den Festspielen: Ein Opernspaß wird zum Exempel für exzellente Regiearbeit

So geht Opernregie, die nicht wie im modernen Regietheater die Musik zugrunde richtet, sondern ein Stück von der Musik tragen lässt. Die Grande Dame der internationalen Opernbühne, Kammersängerin Brigitte Fassbaender, hat das mit ihrer Inszenierung von Rossinis „Barbier von Sevilla“ am Montagabend im ausverkauften Kornmarkttheater beispielhaft vorgezeigt und damit den Bregenzer Festspielen und ihrem Opernstudio im vierten Bestandsjahr einen Bombenerfolg beschert, wie man ihn in dieser Intensität hier kaum erlebt hat.

Nach den eineinhalb atemberaubenden Stunden des 1. Aktes reagierte das Haus bereits mit lautem Jubel. Nachdem im 2. Akt etwas an Tempo und Temperament herausgenommen wurden und dafür sehr viele wunderbare musikalische Kostbarkeiten zum Vorschein kamen, steigerte sich die Zustimmung am Schluss zu einhelligen Standing Ovations. Dafür verantwortlich waren eine bei Barenboims Opernstudio Berlin ausgebildete, hochprofessionelle Besetzung von stimmlicher und schauspielerischer Top-Qualität und ebenso das von Dirigent Daniele Squeo perfekt auf Italianità, Brio und Animo gebriefte Symphonieorchester Vorarlberg. Ein Abend, den man so schnell nicht vergessen wird.

Ein Renner im Opernbereich

Über die Qualität des Stücks, das zwei Jahrhunderte unbeschadet überdauert hat, braucht man wohl nicht zu diskutieren. Der „Barbier“, von Rossini innerhalb eines Monats mit leichter Hand hingeworfen, ist bis heute ein Renner an allen großen Opernhäusern geblieben. Dabei ist es eigentlich nichts anderes als die uralte, in zahllosen Stehgreifkomödien und komischen Opern abgeklapperte Geschichte von dem schrulligen Alten, der ein viel zu junges Mädchen freien will und dabei von einem pfiffigen Diener und dem schlauen Liebhaber übertölpelt wird. Eigentlich ist diese auf Beaumarchais zurückgehende Handlung ja auch das Vorspiel zu Mozarts „Hochzeit des Figaro“. Doch Rossinis Figuren sind weit weniger beseelt als jene Mozarts, alles bleibt bei ihm Ulk und Situationskomik und dennoch auf besondere Art neu und unverbraucht. Und trotz all dem Trubel kommt bei ihm auch die Musik in meisterhaft eleganten Eingebungen von Arien, Ensembles und Finali zu ihrem Recht, die sich im Laufe des Abends fast zu einer Rossini-Hitparade reihen, sehr zur Freude jedes gestandenen Opern-Liebhabers.

Brigitte Fassbaender ist, auch über 20 Jahre nach ihrem von vielen als zu früh bedauerten Rücktritt 1995 als weltweit gefeierter Mezzosopran, in ihrer zweiten Profession als überaus geschätzte Regisseurin noch immer mit Leib und Seele Musikerin genug, um dieses Gefühl auch jetzt intensiv in ihre Arbeit einzubringen. Und es war ein Glücksgriff von Intendantin Elisabeth Sobotka, diese legendäre Künstlerin nach drei Opernklassen nun auf diese Weise an ihr Festival gebunden zu haben.

75 Inszenierungen

Und darum gibt es nun bei Fassbaenders Regie im Laufe dieses Abends sehr viele Akzente, die einem durch ihre Synchronität mit der Musik ein Schmunzeln entlocken. Dem „Barbier“, den sie trotz ihrer 75 bisherigen Inszenierungen hier erstmals angeht, gibt sie klar ausgeprägte handwerkliche Konturen mit auf den Weg durch das Verwirrspiel der Handlung. So läuft alles wie am Schnürchen und ohne jeden Leerlauf ab. Sie nimmt aber auch, wie sie es mehrfach angekündigt hat, diese Komödie durchaus ernst.

Dazu gehört, dass Fassbaender gemeinsam mit ihrem Südtiroler Ausstatter Dietrich von Grebmer das rosarote Billettchen, das Rosina ihrem Verehrer Graf Almaviva vom Balkon aus zuwirft, zur Vorlage für einen Running Gag nimmt, der sich durch die gesamte Handlung zieht. Schon die Ouvertüre wird mit einem originellen Briefträger-Ballett bebildert, der knallgelbe Briefkasten links vorn mit der Aufschrift „Correos“, der spanischen Post, erhält von den verschiedensten Personen immer wieder Nachschub. Die Bühne selbst, eingerahmt von Briefsymbolen, wird von einem überdimensionalen Schreibtisch als Haus und Wohnzimmer des Dottore Bartolo dominiert, dem auch mit einem riesigen Bleistift zu Leibe gerückt wird. Viele Schubladen mit aufflackernden Lichtern sorgen für Lacher und entfalten ein vielfältiges Eigenleben als Versteck, ausziehbares Sofa oder Wäschetruhe, die Tischplatte samt einem riesigen Stempel mit dem Emblem der Festspiele wird zur Präsentationsplattform.

Ohne gesellschaftskritische Ansätze

Die im 18. Jahrhundert in Spanien angesiedelte Handlung wird in modernen Kostümen in ein undefinierbares Heute verlegt, ohne dass jedoch unbedingt irgendwelche gesellschaftskritische Ansätze aufgepfropft werden müssen, ohne die man heute im Musiktheater nicht mehr auszukommen glaubt. Der Spaß mit Tiefgang steht im Vordergrund, was auch bedeutet, dass der Barbier als Spielmacher seinen Herrn nicht wie in solchen Fällen üblich mit Unmengen von Rasierschaum balbiert, sondern elektrisch. Und sich eines Bikes bedient, um als „Faktotum der ganzen Welt“ seinen vielen Aufgaben auch pünktlich nachzukommen. Oder dass die drei Toreros, als sie der überspannten Haushälterin Berta die Hand küssen sollen, drei total verschiedene Charaktere offenbaren: der Schüchterne, der Elegante und der Stürmische. Kleine, liebenswerte Apercus, die die Sorgfalt und Liebe beweisen, mit der hier gearbeitet wurde.

Trotzdem bleibt die Musik bei alledem auf einem exzellent hohen Niveau unangetastet. Sie ist sechs ausgesuchten, ebenso koloratur- wie spielfreudigen Protagonisten anvertraut, die auch die extrem hohen Anforderungen dieses Werkes allein an Tempo und Flexibilität scheinbar mit links bewältigen. Mit einer Ausnahme (Bartolo) debütieren sie in diesen Rollen und haben unter Fassbaenders Anleitung vielleicht gerade deshalb einen besonders intensiven Ensemblegeist mit klar herausgearbeiteten individuellen Eigenschaften entwickelt.

Eine Traumbesetzung

Mit der Bulgarin Svetlina Stoyanova wurde die Gewinnerin des renommierten „Neue Stimmen“-Gesangswettbewerbes für ihre „Traumrolle“ engagiert – und sie ist eine Rosina zum Anbeißen! Zum jugendlichen Liebreiz kommen ihre Vorzüge als warmer Mezzo, die sie gleich in ihrer großen Arie „Una voce poco fa“ imponierend präsentiert: leicht, sinnlich, mit unglaublicher Ausstrahlung und Sauberkeit. Ihr Verehrer Graf Almaviva des Holländers Linard Vrielink braucht etwas Anlaufzeit, bis sich sein fast zerbrechlich feiner Tenor im Liebesduett und in der Schlussarie „Cessa di più resistere“ zu voller Schönheit entwickelt.

Der gewichtige georgische Bariton Misha Kiria liefert als geprellter Heiratskandidat Dottore Bartolo eine köstliche Charakterstudie und gibt sich mit seinem klar zeichnenden Bariton in der Schnellsprech-Arie „A un dottor della mia sorte“ als eitler Tropf zu erkennen. Ein Gustostück für sich ist die berühmte Verleumdungsarie „La calunnia è un venticello“, wie sie der Russe Stanislav Vorobyov mit seinem orgelnden Bass als Musikmeister Basilio präsentiert. Sofort zum Publikumsliebling wird der quicke südafrikanische Bariton Martin Mkhize in der Rolle des Figaro, der als Bühnentier und Showman auch mit tollen stimmlichen Qualitäten (Arie „Largo al facotum della cità“) die Herzen der Zuhörer im Sturm erobert. Bleiben noch die schrille Haushälterin Berta, die die chinesische Sopranistin Chen Wang mit viel Komik ausstattet, sowie Chorsolisten und Dienerschaft.        

Das Symphonieorchester Vorarlberg erweist sich seiner Funktion als zweites Festspielorchester neben den Wiener Symphonikern wieder einmal auf allen Linien würdig. Gerade in der trockenen, heiklen Akustik am Kornmarkt, der mit höchster Präzision und Intensität begegnet werden muss, entwickelt das SOV einen transparenten Klang voll Schönheit, Eleganz und Ausgewogenheit, ganz wie es Rossini entspricht. Dem Italiener Daniele Squeo ist damit am Pult dieses Orchesters ein glänzendes Debüt gelungen. Schön auch, dass die Rezitative stilistisch stimmig nicht von einem Cembalo, sondern einem Hammerklavier (brillant: Andrea Mele) begleitet werden. 

„Der Barbier von Sevilla“ von Gioacchino Rossini 
Opernstudio der Bregenzer Festspiele
Weitere Vorstellungen: 14., 16. und 18. August, jeweils 19.30 Uhr, Theater am Kornmarkt, Bregenz
Dauer: ca. drei Stunden inklusive Pause