Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Fritz Jurmann · 21. Jul 2017 · Musik

Opernexperiment der Festspiele mit Rossinis „Moses in Ägypten“ gescheitert - Erdmännchen lenken bloß vom Wesentlichen ab

Die Bregenzer Festspiele haben heuer mit ihrer Hausoper hoch gepokert, aber letztlich mit ihrem Konzept nicht überzeugen können. Mit Hilfe eines künstlerischen Experiments wurde eine 200 Jahre alte Belcanto-Oper aktualisiert, indem man dem Werk eine zweite Spielebene mit Puppen übergestülpt hat. Damit wollte man die biblische Geschichte von Exodus und Flucht der Israeliten durch das Rote Meer in Rossinis Oper „Moses in Ägypten“ mit den heutigen Flüchtlingsströmen über das Mittelmeer in Beziehung setzen und dadurch einen gesellschaftspolitisch wichtigen Akzent setzen. Die Begeisterung des von weither angereisten vornehmen Opernpublikums übertraf bei der Premiere am Donnerstag im Festspielhaus freilich erheblich den angestrebten Betroffenheits-Faktor.

Die Produktion basiert auf einem zugegeben mutigen Inszenierungskonzept, bei dem die Handlung auf zwei Parallelwelten aufgesplittet wurde: einmal als große italienische Belcanto-Oper in stilsicherer Besetzung durch die aufstrebende niederländische Regisseurin Lotte de Beer und den italienischen Dirigenten Enrique Mazzola, zum Zweiten durch das Rotterdamer Theaterkollektiv „Hotel Modern“ mit laufenden Video-Projektionen vieler kleiner, überdimensioniert dargestellter Figuren auf einer zweiten Spielebene. Damit wollte man Dinge sichtbar machen, die so auch heute auf einer Bühne einfach nicht realisierbar sind wie eben die Darstellung der biblischen Plagen oder die Teilung des Roten Meeres.

Schon einmal schief gegangen

Dieses Vorhaben war schon bei der Premiere des Werkes 1819 in Neapel schiefgelaufen, als Versuche mit der damaligen primitiven Bühnentechnik bloß zu Heiterkeitsausbrüchen beim Publikum führten. Nun versucht sich das aus Herman Helle, Arlène Hoornweg und Pauline Kalker bestehende Künstlertrio an dieser Aufgabe und hat dank modernster technischer Hilfsmittel dabei natürlich grundsätzlich die besseren Karten. Doch die Rechnung geht auch diesmal nicht auf. Die Sache krankt einfach daran, dass man durch diese ständigen Einblendungen auf einem stilisierten Globus im Hintergrund oder auf einem Zwischenvorhang in Bühnenbreit im Ablauf der Oper eher gestört als inhaltlich erhellt wird und seine Aufmerksamkeit mehr den kleinen Männchen als den großen Stimmen widmet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Handlungen auf der Bühne und in den Zuspielungen oft verblüffend synchron ablaufen.

Es löst bestenfalls Schmunzeln aus, wenn diese hässlichen „Erdmännchen“, nicht im biologischen Sinne, sondern Männchen aus Erde mit Kartoffelköpfen, hier marschieren, tanzen, musizieren oder kopulieren, in verwackelten und unscharfen Bildern über eine Handkamera, und damit die musikalische Ästhetik eines Rossini-Meisterwerkes empfindlich stören. Unvollkommenheit wird hier zum Prinzip erhoben. Es ist aber einfach eine Grundsatzfrage: Das sind zwei Welten, die unkompatibel sind. Und wenn das Kasperl dann auch noch auf das Krokodil einschlägt, wird es sogar infantil und unfreiwillig komisch, auch wenn die Schöpfer und Macher der Figuren mit großem Ernst bei der Sache sind.

„Familienfoto bei Pharaos“

Sie wieseln in Alltagskleidung pflichteifrigst auf offener Bühne herum, basteln coram publico an ihren Aktionen auf Spieltischen, essen dazwischen Äpfel und mischen sich auch in die Bühnenhandlung ein, indem sie als erfolglose Götter oder „Friedensstifter“ die untereinander verfeindeten Akteure zu einer Art „Familienfoto bei Pharaos“ gruppieren.

Das „Rote Meer“ wird mit Wasserkübeln in ein Bassin gekippt, so einfach geht das. Filmsequenzen in Zeitlupe schaffen dann die Teilung und die Plagen wie Finsternis und Feuersturm. Vergebene Liebesmüh‘ am untauglichen Objekt. Wenn die ausgewiesene Atheistin Lotte de Beer als Gesamt-Regisseurin im Vorfeld vom Einbeziehen dieser Figuren in die Handlung noch als einer Art göttlichem Schöpfungsakt spricht, dürfte dies wohl als Kniefall vor dem katholischen Vorarlberg gewertet werden.     

Endlich wieder Belcanto

Damit endlich zur Oper selbst, nach vielen Jahren also wieder Belcanto in Bregenz wie zuletzt zu Ernst Bärs Zeiten in Donizettis „Lucia Lammermoor“ mit den Stars Katia Ricciarelli und José Carreras 1982. Diesmal ist es ein Stoff aus dem Alten Testament, der eigentlich für die Besinnung während der Fastenzeit vertont wurde. Doch diese „Opera seria“ ist wie so manch andere seiner Stücke dieses Genres heute in Vergessenheit geraten, weil man Rossini lieber mit seinem beliebten Buffo-Repertoire pflegt.

Bregenz leistet an dieser Rarität wie früher Alfred Wopmann also wiederum einen wertvollen Akt der Wiederbelebung, den dieses Stück allein von seiner musikalischen Qualität her mit vielen schönen Melodien und geradezu lautmalerischen Einfällen zur Illustration des Bühnengeschehens sicher verdient hat. Ob das auch für das Libretto in einer auch textlich seltsamen Mischung aus Freiheitsbestrebung, Begierde und Manipulation zutrifft, ist eine andere Frage.

Wechsel aus Solo und Chor

Einen großen Teil ihrer Wirkung bezieht die Oper jedenfalls durch den Wechsel zwischen emotionsgeladenen Solostücken und großen Chorszenen. In der Schönheit der Belcanto-Arien und -Duette mit ihrer einschmeichelnd melodiösen Terzen- und Sextenseligkeit werden vor allem die privaten Konflikte verarbeitet. Da ist der Disput zwischen dem israelitischen Propheten Moses und dem Pharao als Herrscher der Ägypter, der seine gegebenen Zusagen zum Auszug der Israeliten immer wieder zurücknimmt und dafür von Moses mit Gottes Hilfe jeweils die nächste der zehn Plagen für sein Volk an den Hals bekommt.

Oder es gibt auch die in der italienischen Oper fast unvermeidliche, hier tragisch endende Liebesgeschichte, eine Art Romeo-und-Julia-Story mit zwei Verliebten aus verfeindeten Lagern. In diesem Fall sind das Osiride, Thronfolger des Pharaos, und der Hebräerin Elcia. Der unsterblich verliebte Osiride verhindert mehrmals den Auszug ihres Volkes, um seine Geliebte nicht zu verlieren.

Chor in tragender Rolle

Die biblische Handlung mit ihren Massenszenen dagegen, in der Moses schließlich doch die Israeliten ins gelobte Land führt und das Rote Meer hinter ihnen über den Ägyptern wieder zusammenströmt, wird in packenden Chor-, Ensemble- und Orchesterteilen abgehandelt. Hier ist vor allem dem Chor eine tragende Rolle zugedacht – eine geradezu ideale Aufgabe für den hier seit langem geschätzten stimmgewaltigen Prager Philharmonischen Chor unter Lukás Vasilek, der diese Herausforderungen großartig bewältigt. Allein der Chor zur Ankunft des Lichts nach überwundener Finsternis ist ein Exempel dafür, wie ein guter Opernchor zu klingen hat – strahlend, ausdrucksvoll, von gebündelter Kraft und Dynamik. Noch lange im Ohr bleiben wird das berührend lyrische Gebet der Israeliten im dritten Akt um ein besseres Leben, „Dal tuo stellato soglio“ – übrigens das einzige Stück Musik, das von dieser Oper heute noch allgemein bekannt ist.

Ein Dirigent für die Zukunft

Enrique Mazzola am Pult, nach einem Konzert im Vorjahr heuer erstmals als Operndirigent in Bregenz, ist ein großer Gewinn für die Festspiele und empfiehlt sich mit seiner klaren, umsichtigen und temperamentvollen Arbeitsweise gerade im italienischen Bereich für weitere Aufgaben. Rossinis Musik blüht unter seiner Gestaltung zu vollkommener Schönheit auf, auch dank der mit ihm persönlich sehr verbundenen Wiener Symphoniker.

Nach vermutlich premierenbedingten kleinen Unebenheiten im tiefen Blech am Beginn wachsen sie sehr rasch in ihre Rolle als routiniertes Opernorchester, voll Italianità, Grandezza und jenem Klang, für den sie zu Recht berühmt sind. Solo-Klarinettist Gerald Pachinger lässt dabei sein Instrument mehrfach in wunderbaren Solo-Kantilenen erblühen. Eine „Musik-Banda“ aus Musikern des Landeskonservatoriums unter Benjamin Lack fügt sich sicher ins musikalische Geschehen ein.    

Koloraturfreudige Solisten

Nicht zimperlich umgegangen ist Rossini in diesem Werk mit seinen Solisten, die in diesem Werk in der Parade ihrer Solo-Arien und Duette, die jeder und jede abzuliefern hat, ordentlich gefordert werden. Und es entspannt sich in den sechs Hauptpartien jeweils ein interessantes Duell um die Publikumsgunst zwischen den zwei Sopranen, zwei Tenören und zwei Bässen, wer in Bezug auf Ausdruck, Koloraturgeläufigkeit und Verzierungsfreue die Nase vorn hat.

Da kann vor allem Andrew Foster Williams als Pharao mit seiner Bühnenpräsenz punkten, auch in den Angst machenden Zornausbrüchen in seinem bis in tiefste Koloraturlagen konturierten Bass. Sein Gegenspieler Mosè mit Goran Juric in derselben Stimmlage agiert mit seinem prophetisch orgelnden, wunderbar ausgeprägten Bass als schlau agierende, wendige Führungspersönlichkeit. Um Ausgleich in den Konflikten bemüht ist die Amalthea, Pharaos Gattin, mit der Sopranistin Mandy Fredrich, die vor allem im zweiten Teil ihre große Bandbreite ausspielt. Trotz ihrer Verschiedenheit von Herkunft und Stand sind Thronfolger Osiride mit dem quirligen schwarzen Tenor Sunnyboy Dladla und seiner besonders hohen, exotischen Stimmfärbung und die hellstimmige Sopranistin Clarissa Costanzo als Hebräerin Elcia ein ideales Liebespaar, das einem ans Herz wächst. Der Tenor Matteo Macchioni schließlich ist ein quicker Aronne.       

Fazit: Wenigstens musikalisch wurde dieser Abend zum erwarteten festspielwürdigen Ereignis. Das andere sollte man gedanklich ganz rasch ausblenden.

 

Dauer: ca. drei Stunden inkl. Pause
Die beiden weiteren Vorstellungen am 23. Juli 11.00 Uhr und am 31. Juli 19.30 Uhr sind bereits ausverkauft.