Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Anita Grüneis · 11. Jun 2017 · Musik

Niemandsklippen an der Schlossmediale - Vom Punkrock zum Knabensopran

Die 6. Schlossmediale Werdenberg ist in der Zielgeraden. Kurz vor dem Ende zeigte die künstlerische Leiterin Mirella Weingarten noch einmal, was ihr wichtig ist: Die direkte Verbindung von alter und neuer Musik. „Niemandsklippen“ hieß das Wandelkonzert, das im Toggenburg stattfand. Die Kulisse dazu hätte nicht schöner sein können: Das neue Gipfelrestaurant auf dem 2200 Meter hohen Chäserrugg, konzipiert von den beiden Stararchitekten Herzog & de Meuron.

Schon die Fahrt zu diesem Konzert war ein Erlebnis. In der Gondelbahn unterhielt das Jodlerterzett Hersche/Looser mit einigen „Zäuerlis“ und beschwor mit seiner melancholischen Stimmigkeit die Sehnsucht nach der „Idylle“ herauf, während die Gondel über schroffe Felsen schwebte, ein paar Gämsen bei ihrem Abendmahl kurz irritierte und sich dem Haus näherte, dessen Dach wie ein Gleitschirm herausragte. Oben angekommen, wurden die Konzertbesucher mit Spätzli, Apfelmus und Schlorzifladen, einer Kuchenspezialität des Toggenburg, empfangen. Derart gestärkt, den traumhaften Ausblick fotografiert und geselfiet, begann dann das eigentliche Konzert.

Vier Bühnen, vier Stimmungen

Das Publikum saß inmitten von vier kleinen Bühnen. Panagiotis Tsappis mit seiner orientalischen Nay-Flöte setzte den Grundton - ein Klagen darüber, dass das Idyll von Arkadien für immer verloren ist. Ihm gegenüber stimmte die Jodlerin Nadja Räss ein und erinnerte mit ihrem sehr innigen Jodel an die Musik von Franz Schubert. Ihr sanfter Ton wurde von der Steamboat Switzerland aufgenommen und dann donnernd zerschlagen. Das Trio mit Dominik Blum an der Hammond-Orgel, Marina Pliakas am E-Bass und Lucas Niggli am Schlagzeug setzte mit einem wummernden Bass, einer aufheulenden Hammond-Orgel und dem nahezu brachialen Schlagzeugspiel lautstarke Akzente. Ihr Zeitschrei glich einem orgiastischen Urschrei, der alle mitriss, die dann auch spontan applaudierten. 

Knabensopran, Jodel und Drehleier

Nach dieser Energieeruption sang Dominik Fürer in Begleitung von Matthias Loibner an der Drehleier das Lied „Im wunderschönen Mai“. Dieser abrupte Stimmungswechsel war ungeheuerlich, doch die Schumannsche Maienidylle mit Knabensopran wurde sofort wieder zerstört, als Steamboat Switzerland mit einem Impro einsetzte. Wieder wurde es sehr laut und sehr wild, dann aber beschwor Eleni Irakleaous mit ihrer erotischen Stimme den Regen herauf, bevor Nadja Räss’ zarter Naturjodel mit den Tönen der Drehleier zu verschmelzen schien. Weiter ging es mit diesen extremen Wechseln, die aber zugleich mahnten, dass Musik keine Grenzen kennt, dass selbst hinter der Lautstärke der Steamboats die Minimal Music eines Philip Glass schlummert.

Kuckuck, Kuckuck rief es auf dem Bern

Den heiteren Schlusspunkt setzte der Komponist und Klangkünstler Erwin Stache mit seiner Performance-Installation „Die Gedanken der Kuckucksuhren“. Während Menschen mit Rucksäcken umherspazierten, aus denen unter anderem schweinische Grunzgeräusche kamen, präparierte der Künstler seine sechs Kuckucksuhren, die auf hohen Stangen befestigt waren. Und dann begannen sich die Türchen tatsächlich selbständig zu öffnen und erzeugten dabei ein Lied zum Mitsingen. 

Alles Idylle oder was?

Die Sonne verabschiedete sich tiefrot am Himmel, das Publikum stapfte noch einmal durch den Schnee, bewunderte das Gebäude, genoss ein Glas Wein, spazierte zur wartenden Gondel. Diese „Niemandsklippen“ waren ein einmaliges Erlebnis, traditionell und neu, mit Zeitschreien und Zeitmelancholie, Romantikseufzern und Energiesalven. Damit passte die Musik perfekt zum Haus, das mit seinem Dach zu einem weiteren Bergzacken der Churfirsten wurde. Alles sehr idyllisch. Oder doch nicht?

www.schlossmediale.ch